23. Mai 2007

Nr. 23 Fotos aus Mexikos Süden


Scheu und schön; zwei Helferinnen eines Marktkaffees in Tekax.

Farbig und kolonial; nicht alle Häuser in der Altstadt von Tekax sind so farbig. Viele Gebäude verfallen, nachdem die Besitzer weggezogen sind.

Im Park von Tekax; die Menschen lassen sich gerne fotografieren. Dort, wo wenig Fremde hinkommen, sogar ohne Bezahlung.

Heute und Gestern; Menoniten am Strand von Puerto Progresso. Im Hintergrund der längste Pier der Welt. Über ihn wurden bis vor Jahrzehnten Sisal-Fasern, das Exportprodukt der Gegend, verladen. Heute laufen moderne Handelsgüter über ihn.

Ausgedient; Ein Tankwagen auf dem stillgelegten Bahnhof in Merida. Das renovierte Bahnhofgebäude beherbergt neuerdings eine Kunstschule.

Velosonntag in Merida ; Fahrradentusiasten genissen in dieser Stadt an jedem Sonntag markierte, von der Polizei überwachte autofreie Strassen.

Bis heute voller Rätsel; Maya-Tempel in Uxmal.

Bilder sind lesbar; in Stein gemeisselter Mayaherrscher auf einer Stele von Panlenque.

Was er wohl denkt? Andres während eines Zwischenhalts unterwegs in Südmexiko.

Unvergesslich; die Wassefälle und Becken von Agua Azul in Chiapas.

Strassenkaffee; In San Christobal De Las Casas bieten uns Knaben Keramikfiguren zum Kauf an.

Klein aber echt; Wildtomaten auf dem Markt von Christobal.

Fritz mit Frau; Selbstbildnis auf einem Umzug in Christobal.

Fritz vor Naturwunder; der Taxus von Tula bei Oaxaca gilt als grösster Baum der Welt.

Nummer 103; ein Träger auf dem Markt von Oaxaca (sein Kollege wollte nicht aufs Foto).

Mutige Nonne; am 50jährigen Jubiläum ihres Ordens in Huajuapan De Leon trägt eine Nonne die Kuh mit Feuerrad über die Bühne.

Zwei Freunde; alte Männer verkaufen Kleinigkeiten am Rande des sonntäglichen Flohmarktes von Puebla.

21. Mai 2007

Nr. 22 Mexico und "Chickenbus"

Mexico City, 21. Mai 2007
Liebe Mitreisende

Bereits sind einige Wochen vergangen seit meinem letzten Bericht aus Merida, Yucatan und dem Fotobeitrag über Belize. Nun bin ich schon eine Woche in Mexico City, oder Mexico, wie es hier genannt wird. Es ist eine der grössten Städte der Welt, hier leben und arbeiten über 24 Millionen Menschen. Ein faszinierender Ort mit einem dichten Metro-Netz, Stadtautobahnen, Bussen, Taxis, Privatautos, kleinen und grossen Parks, vielen Museen, modernen Hochhäusern, einer kolonialen Altstadt und internationalem Flughafen im Zentrum! Neben den grossen Warenhäusern und Supermärkten füllen private, kleine Spezialgeschäfte mehrstöckige Bauten, und auf ganzen Strassenzügen verkaufen tagsüber Tausende von Händlerinnen und Händler ihre auf Blachen ausgebreitete Waren.

Früh am kommenden Mittwoch wird Andres leider über Puerto Rico seine Heimreise antreten. Seine Ankunft in der Schweiz ist am 2. Juni. Unverzüglich wird er das lange Reisen mit seiner Tätigkeit als Barmann am alten Arbeitsplatz in der "Turnhalle" in Bern tauschen.

Die Busreise von Merida in Richtung Mexiko machten wir in der ersten Woche noch gemeinsam. Ab San Christobal reiste Andres voraus, um in Mexiko sein Visum zu verlängern. Ich reiste zwei Tag später ab und machte unterwegs mehrere Stops.




Hier die Etappen ab Merida im Überblick: Besuch der Maya-Ruinen von Uxmal (für mich die schönsten!), das Dorf Santa Helena mit seiner einzigartigen Kirche, in der leider viele Heiligenbilder fehlen. Übernachten in Hopelchen. Die folgenden Tage brachten uns nach Champeche (bis hierher flache Hügel mit halbtrockenem Laubwald und Ackerbau in den wenigen Lichtungen), Ciudad Carmen (überraschend interessant), Villahermosa (mit vielen altrosa blühenden Parkbäumen), Palenque (zum letzten Mal Maya-Ruinen, mitten im Troppenwald), Agua Azul (wunderbarer, blauer Fluss mit hunderten von Schnellen und Becken zum Baden). Dann über die kurvenreiche Strasse hinauf aufs Hochland von Chiapas, wo wir im frischen San Christobal auf 2200 Meter für einige Tage blieben.

Am 4. Mai reiste ich weiter nach Juchitan de Zaragoza und am Samstag ins Fischerdorf Vente am Pazifischen Ozean. Einen Tag später erreichte ich nach vier Stunden Fahrt durch bewaldete Hügel mit wenigen Siedlungen die Provinzhauptstadt Oaxaca. Oaxaca mit seinem angenehmen Klima liegt in einem breiten, fruchtbaren Hochtal auf 1500 Meter. In Tule unweit der Stadt bestaunte ich den grössten Baum den ich je gesehen. Der Taxus (ein Nadelbaum) steht neben einer Kirche, hat einem Stammdurchmesser von 15 Metern und eine Kronenhöhe von 55 Meter. Sein Alter wird mit über 2000 Jahren angegeben. Der Baum ist demnach zum Zeitpunkt gekeimt als auf einem nahen Berg das Volk der Zapoteken ihre Festungsstadt zu bauen begann, die jedoch im fünften Jahrhundert bereits wieder unterging. Die lauen Abende verbrachte ich inmitten der Menschen unter den Bäumen des Zocalos (Hauptplatz), und lauschte lokalen Klängen oder Darbietungen eines italienisch-mexikanischen Kulturfestivals.

Am 11. Mai ging es weiter durch das mit Kakteen, niedrigen Laubbäumen, einigen Föhren bewachsenen Hügelland an weit von einander entfernten Dörfern vorbei nach Huajuapan de Leon. Einen Tag später erreichte ich Puebla, wo ich am Sonntag Volkstänze, eine Clowndarbietung und einen Flohmarkt besuchte. Puebla, 100 km von Mexico entfernt, hat über eine Million Einwohner. Es liegt auf einer Höhe von 2000 Meter inmitten einer seit Jahrtausenden intensiv bebauten Ebene. Abendliche Gewitter markierten das Ende der Trockenzeit.

Aus Mexico City sende ich euch allen meine besten Wünsche und Grüsse
euer Fritz


Hier folgt die in Blogbeitrag Nr. 20 angekündigte Geschichte, erweitert und unter neuem Namen:

"Chickenbus" *)
Ans Fenster gedrängt sitze ich im alten, ratternden Bus. Beidseits sitzen drei Leute auf verfetzten Sitzbänken. Dutzende stehen im Mittelgang. Frauen, Kinder, wenig Alte. Trotz der offenen Fenster ist es warm, stinkig, lärmig. Der Fahrer steuert uns ruhig und gekonnt durch die vollgestopfte Strasse, hinaus aus der Millionenstadt El Salvador. Schweiss rinnt über meine erhitzte Haut. Wenn der Chauffeur vor einem Rotlicht stoppt, wird es fast unerträglich. Ich möchte aus der Wasserflasche trinken, meinen Durst löschen. Ich tue es nicht, denn es wird noch lange dauern, bis wir die Pinos an der Grenze zu Honduras erreichen. Und noch hab ich eine Erfahrung, unterwegs Wasser lösen zu müssen, nicht vergessen.

Meinen Bus im Terminal Ost fand ich am frühen Vormittag ohne Probleme. Das Gefährt stand mit offener Tür im Schatten eines Baumes neben Verkaufsbuden. Ich hatte Glück, er sollte schon in einer halben Stunde abfahren. Als einer der ersten Passagiere setzte ich mich ans Fenster in der dritten Sitzreihe. Dabei schaute ich wegen der zu erwartenden Hitze darauf, die der Sonne abgewandten Seite zu besetzen. Im Gepäckträger rechts oben verstaute ich meinen Rucksack, um ihn so unterwegs im Auge behalten zu können. Wir waren kaum ein halbes Dutzend Leute im Bus, als die erste Frau mit dickem Gesäss und einem vollen Korb mit in Bananenblätter gehüllte Paste aus Reis und schwarzen Bohnen in das Fahrzeug kletterte. Ihr folgte ein kleiner Knabe mit "Frescos", künstlich gefärbten und selber in Plastikbeutel abgefülltem Sirup. Die Beutel hatte er an einer Eisenstange so raffiniert aufgehängt, dass er sie mit einem Ruck losreissen konnte, ohne den Knotenverschluss des Beutels zu beschädigen. Zum Trinken werden die kleinen Beutel an der unteren Ecke aufgebissen und direkt mit dem Mund ausgesogen. Je mehr sich der Bus mit Fahrgästen füllte, umso mehr HändlerInnen drängten sich hinein.

Das Gedränge ging unvermindert weiter, selbst nachdem der Fahrer mit dem Starten des Motors und mehrmaligem Hupen die Abfahrt angekündigt hatte. Flink zwängten sie sich mit ihren Köstlichkeiten auf dem Kopf schubsend und rufend durch den vollgestopften Mittelgang. Verpasst diese letzte Gelegenheit nicht, mahnten ihre Blicke. Der Bus, nun endlich in Fahrt, stoppte bereits nach Verlassen des Areals ein erstes Mal. Passagiere, die es nicht bis zur Abfahrtstelle geschafft hatten eilten herbei. Hektisch stiegen neue HändlerInnen ein, um ihre Waren anzupreisen. Eine Szene, die sich unterwegs bei jedem Halt wiederholen sollte.

Ich versuche mich zu erinnern, was mir auf dieser Fahrt alles angeboten wurde: Chips aus Kartoffeln, Kochbananen oder Yuka, letztere auch gekocht, Socken, Schals und Handschuhe, Haarklemmen- und Bürsten, Taschenspiegel, Kitschschmuck, geschälte und halbierte Orangen, unreife Mangostücke im Plastiksack (wie die Chips werden sie nach dem Kauf mit einer scharfen Sauce gewürzt), Schirmmützen für Männer, Kugelschreiber, farbige Hüllen für Handys, Notizbücher (das neue Schuljahr hatte eben begonnen), ein Jahrbuchkalender, gekochte Eier, Äpfel aus den USA, rosa Trauben aus Chile, einheimische Erdbeeren, frisch geröstete Erdnüsse, warme Reisspeisen mit Geflügel oder Rindfleisch, der Länge nach halbierte Gurken, Durstlöscher aller Marken in Petflaschen (in einem Kübel mit gekühltem Wasser durch das Gedränge getragen), Trinkwasser mit Eis in Plastiksäcklein, verschiedene in Cellophan gehüllte Kuchenstücke und vieles mehr.

Endlich den Rand der Millionenstadt erreicht, hält der Bus wegen einer Arbeiterdemo auf der Autobahn für längere Zeit. Die Frau neben mir putzt sich Eiscremreste vom Rock. Sie kaufte es unterwegs durchs Fenster. Langsam beginnt die Weiterfahrt auf einer Nebenstrasse. Die Landschaft wirkt trocken und ausgelaugt. An einem karg bewaldeten Hügel treibt der Wind eine Feuerfront vor sich her. Es stinkt nach verbranntem Abfall, Abwasser, Auspuffgasen. Immer wieder hält der Bus an und nach dem letzten Vorort stehen nur noch wenige in der Mittelreihe. Diese Gelegenheit nutzt ein Weisshaariger und stellt sich vorne in den Bus. Mit klarer Stimme beginnt er einen Vortrag: Unser Körper bestehe aus zwei Dritteln aus Wasser. Darum sei Wasser wichtig für unsere Gesundheit...

Wie war das, mit meinem Wasser, auf der Fahrt durchs Hügelland in Costa Rica? Ich sass rechts und Andres links am Fenster, zusammen mit acht Fahrgästen auf der zweithintersten Reihe. Auch auf dem Mittelgang waren die Gesichter rot vor Hitze, Druck und Atemnot. Die qualvolle Fahrt dauerte bereits über vier Stunden - im Führer steht drei. Und mein Abfallwasser drückte immer mehr. Langsam aber sicher geriet ich in Not. Wäre ich an einem der Halts mühevoll ausgestiegen, hätte ich meinen Sitz verloren und beim Wasserlösen hinter einem Busch wäre der Bus bestimmt abgefahren. Als einzige Lösung opferte ich mein grosses Nastuch, schob es zwischen meine Oberschenkel und lies einfach los. Warm und erlösend rann es aus mir heraus. Für Minuten erinnerte ich mich, wie es war als Kleinkind... Dann dachte ich an Indien, wo Gesundheitsbewusste ihren eigenen Urin trinken... Als ich das tropfnasse Tuch aus dem Fenster schmeisse, durchfahren wir eine Baustelle, wo Urwaldriesen der neuen Strasse geopfert werden.

Nun zieht der Mann vorne im Bus ein Fläschchen mit braunem Inhalt aus einer Ledertasche. Es ist sein reich erprobtes Allerheilmittel für nur einen Dollar. Es helfe bei Rheuma, Fieber, Kopf- und Bauchschmerzen, bekommen wir zu hören, aber auch bei Gedächtnisschwäche, Prostatabeschwerden, Blasenkrankheiten der Frauen, Bauchweh, Kinderlosigkeit, Haarausfall, Muskelkrämpfen und vielem mehr. Nach seiner Rede begibt er sich nach hinten um bei jeder Sitzreihe sein Fläschchen anzupreisen. Niemand kauft ihm eines ab. Gelassen steigt er beim nächsten Halt aus. Und hier steigt ein anderer Mann ein. Er ist hager, mittleren Alters, mit abgetragener Krawatte. Mit einem leichten Sprachfehler vernehmen wir den Vortrag über Wasser und alle inneren Organe von neuem. Sein Fläschchen kostet ein Dollar. Nachdem er für unsere Aufmerksamkeit gedankt hat, verlässt er erfolglos und sichtlich traurig den Bus. Wir durchfahren eine weite fruchtbare Ebene. Die Reisenden neben mir sind ausgestiegen und ich kann endlich meine Beine strecken und mein gestern im Supermarkt gekauftes Knäckebrot auspacken...

*) "Chickenbus" heissen in Mittelamerika nicht gekühlte Landbusse. Ob der Name Chickenbus davon stammt, dass früher in solchen Bussen neben Waren auch Hühner usw. mitgeführt wurden oder aber weil sie vielfach mit Fahrgästen so eng gefüllt sind wie Hühnchen in ihren Mastkäfigen, konnte ich bisher nicht herausfinden.