Liebe Mitreisende
Am dritten Januar fruehmorgens verliess ich per Bus Montezuma. Andres blieb zurueck, um fuer einige Tage bei einer Tuerkin im Café auszuhelfen. Bereits nach Mittag traf ich in der Stadt Libera im Norden von Costa Rica ein. Hier hatte die Landschaft ein vertrocknetes Gesicht. Auf den Wiesen blies ein boehiger Nordwind durch weisse Graeser. Viele Baeume hatte ihre Blaetter verloren. Vorbei das saftige Gruen, welches bisher vorherrschte. Und mir wurde bewusst, die Trockenzeit in Zentralamerika hatte ja schon vor Wochen begonnen.
Am folgenden Tag fuhr ich mit einer Touristengruppe zum nahen Vulkan Rincon. Im gleichnamigen Nationalpark wanderte ich mehrere Stunden im Schatten von Baeumen oder ueber windgeplagte Wiesen zu dampfenden oder brodelnden Loechern. Achtung 75 Grad!, stand auf den Tafeln. Die im Innern des Vulkans vorhandene Hitze wird schon bald in einem Thermokraftwerk in elektrischen Strom umgesetzt werden. Am Nachmittag erreichte ich nach zwei Stunden einen idyllisch gelegenen Wasserfall. Wie erfrischend war das Bad im klaren Wasser. Nur etwas kurz, denn der Bus wartete bereits zur Rueckfahrt.
Auch am nächsten Tag hatte ich vor, einen weiteren Nationalpark zu besuchen. Doch auf der Fahrt dorthin entschloss ich mich kurzerhand, im Bus bis zur Endstation, der Grenze zu Nicaragua, sitzen zu bleiben. Nach dem Grenzuebertritt war mein Ziel Ometepe, die Insel mit den zwei Vulkanen im Nicaraguasee. Ich erreichte sie nach einer kurzen Bootsfahrt am fruehen Nachmittag.
Bereits einen Tag spaeter machte ich mit einer kleinen Gruppe eine Rundfahrt zu den wichtigsten Sehenswuerdigkeiten der Insel. Auf Ometepe fuehlte ich mich gut und entschloss fuer einige Tage zu bleiben. Im Hotel Aly in Moyogalpa, im Anlegeort der Faehre, bezog ich ein Zimmer. Bald ergaben sich unter den Touristen Bekannschaften. Zwei deutsche Frauen kamen nach Costa Rica, um ihren moeglichen Alterssitz zu finden. Ein junger Deutscher ist mit 60 kg Gepaeck auf seinem Fahrrad unterwegs nach Kanada und will wie ich im naechsten Jahr Suedamerika bereisen.
Die Insel Ometepe wurde vom langen Buergerkrieg verschont. Sie wird Insel des Friedens genannt. Die Menschen gelten als die freundlichsten von ganz Nicaragua. Die Landschaft, die sich rund um die beiden Vulkane ausbreitet, ist sehr fruchtbar. Der See erstreckt sich ueber dem schwarzen Lavagrund grau bis braun gefaerbt bis zum fernen, nur leicht erkennbaren Horizont. Seine Ufer zieren maechtige Baeume und lauschige Buchten. Bei genauerem Hinsehen faellt auf, dass die Insel schon bessere Zeiten erlebt hat. Viele Gebaeude, Strassen und Hafeneinrichtugen sind verfallen. Die Haeuser sind klein, das Leben bescheiden. Die Bauern ziehen auf dem Lavaboden besonders wertvolle Kochbananen. Diese bringen Lastwagen aus El Salvador oder Honduras direkt in Fabriken, wo sie zu Chips und Kosmetika verarbeitet werden.
Der Vulkan Conception ist 1600 Meter hoch und noch aktiv, der zweite, Maderas, etwas niedriger. Er ruht seit ueber tausend Jahren und hat einen Kratersee. Beide sind weitgehend mit Regenwald bedeckt und koennen bestiegen werden. Ihre Gipfel habe ich nicht gesehen. Sie sind zu dieser Jahreszeit mit einer, im starken Wind stehts das Gesicht veraendernden weissen Wolke umhuellt.
Am Montag den 9. Januar um zehn Uhr machte ich mich zu Fuss auf, um den kleineren, weiter entfernten Vulkan zu umruden. Die Fahrstrasse, die ich einschlug, war staubig, sonnig und ein stetes Auf und Ab. Den Ort Altagracai, sechzehn Kilometer entfernt, erreichte ich rechtzeitig vor dem Einnachten.
Nach dem hier ueblichen Fruestueck mit Reis, Bohnen, Ruehrei und Toast wanderte ich weiter. Zuerst auf der vor zwei Jahren durch die Weltbank mit Zementsteinen befestigten Strasse. Nach einem ersten Halt traf ich einen Bauern, der mich einige Zeit begleitete. Begeistert redete er von seiner Insel, die den Menschen verschiedene Fruechte schenke, dazu Sorgum, Mais, Trockenreis, Tabak und Bananen für den Verkauf. Aber auch dauerhaftes Holz zum Haeuser bauen. Sowie Fleisch und Milch von den Kuehen. Jeder Bauer ziehe Huehner und Schweine. Entlang einer Weide stiegen wir hinab zum See. Mein Begleiter zog sich aus und badete. Ich beobachte, wie Frauen und Kindern im warmen Wasser standen und auf rauen Steinen Kleider wuschen. Im frischen Wind ging ich fuer Kilometer dem Strand entlang auf den kleinen Vulkan zu. Das monotone Geraeusch der weissen Wellen, die auf den schwarzen Sand aufschlugen, liessen mich meine mueden Beine vergessen.
Der dritten Tag wurde der Strengste. Niemand konnte mir glaubwuerdig sagen, wie weit San Ramon entfernt ist, das ich erreichen wollte. Ich ging neben Bananenplantagen vorbei, entlang abgeernteter Reis-, Sorgum- oder Maisacker oder unter Schatten spendenden Baumpartien. Die Bauern waren zu Fuss oder Pferd unterwegs. Als Familien sassen sie schwatzend unter dem Vordach ihrer mit Blumen umgebenen Haeuser. Andere breiteten gedroschenes Getreide zum Trocknen aus. Ich sah sogar einige Ziegen, die ersten auf meiner Reise. An einer Sandbank in Seenaehe labten sich Schmetterlinge; weisse, gelbe, orange, gefleckte, rotbraune und ganz braune. Gegen Abend sangen die Voegel lauter, eine Familie von Bruellaffen suchte ihr Essen, rosarote Blueten, direkt ueber meinem Kopf. Den ganzen Tag über sah ich geerntete Kochbananen am Strassenrand, die die Bauern zum Abtransport dorthin gelegt hatten.
In San Ramon besuchte ich am Morgen den Hafen, wo eine norwegische Firma seit zwei Jahren eine Fischzucht fuer den Export unterhaelt. Unterwegs zum naechsten Dorf badete ich an einem einsamen Strand. Spaeter fotografierte ich alte Baeume und das Innere eines Wohnhauses aus Bambus. Auf Naturboden steht ein grosser Kuehlschrank, auf einem Gestell ein Fernseher und eine Musikanlage. Die Frau mit fuenf Kinder kocht mit Holz auf einem offenen Herd auf Tischhoehe. Ich ging weiter zwischen schwarzen Felsen und weissen Staemmen, bis mich eine Kinderschar aufhielt und auf eine duenne, lange Schlange zeigte, die in den untersten Aesten eines Baumes zuengelte. Am Ausgang des Dorfs Merida genoss ich den Schatten hoher Alleen von wilden Mangobaeumen. Ihre satten, tiefgruenen Blaetter wirken stets erfrischend. Bald brannte die Sonne wieder heiss und ich setzte meinen Hut auf. In jeder auch noch so kurzen Schattenpartie zog ich ihn aus, denn ich war nass vor Schweiss. Als ich ihn wieder mal aufsetzen wollte, fehlte er, er war aus meiner Hosentasche gefallen. Zum Glueck kurz vor dem Ziel.
Diesen Text schrieb ich am 13. Januar in Moyogalpa auf Ometepe. Heute ist der 17. Januar, und ich bin seit Sonntag in Granada, wo Andres auf mich gewartet hat. Morgen beginnen wir einen fuenf taegigen Spanischkurs, organisiert durch das Rote Kreuz von Nicaragua. Also bis bald euer Fritz