19. April 2010

Nr. 1 Ein Sonntag in Kathmandu

Der Samstag ist der offizielle Wochenfeiertag Nepals. Um drei Uhr nachmittags verlasse ich das Hotel, trinke einen Espresso in einem Kaffeehaus und lasse mir bei einem indischen Frisör den Bart rasieren. Die kurze Wartezeit nutze ich dazu, um auf der andern Strassenseite einen Händler zu fotografieren, der vor seinem Laden durch drei Spengler zehn Meter lange Röhren in ein Bohrloch versenken lässt.


"Ich habe es satt, nur einmal pro Woche im öffentlichen Netz Wasser zu erhalten" bemerkt er hoffnungsvoll.

Ich schlängle mich weiter durch die enge Gasse. Sie hat keinen Gehsteig, und ich muss immer wieder hupenden Taxis, Motorrädern und flanierenden Menschen ausweichen. Die Geschäfte sind geschlossen, an den Neubauten jedoch wird gearbeitet. Ich entdecke nur noch ein einziges altes, traditionelles Haus. Es steht bereits leer und ist am Zerfallen.


Über einem offenen Platz hängen Hosen und Leintücher an einem hoch gespannten Seil. Der Boden ist uneben und staubig. Von zwei geschminkten Mädchen soll ich ein Foto machen.


Mehrere eingefasste heilige Steine und Figuren sind vernachlässigt oder bereits aufgegeben. In den Vertiefungen sammelt sich Abfall. Solcher säumt haufenweise auch den Weg zum Stadtbach. Ich bewundere feine Holzschnitzereien an einem gepflegten Tempel. Daneben sind Männer dabei, aus Ziegelsteinen ein Heiligtum zu erstellen. Weiter unten sehe ich mehrere Gemüsegärten, die unter extremer Trockenheit leiden.


Während ich durch kleinere und grössere Tempelanlagen gehe, dringt beissender Gestank in meine Nase. Als erstes kommt er von einem Ziegenbock, der angebunden hinter Gitter mageres Gras verzehrt.


Der Hauptgestank entsteigt der schwarzen Brühe, die sich voll von Abfall und Unrat am heiligen Tempelplatz vorbei wälzt. Eine Frau reinigt eine mit Münzen behangene, bronzene Göttin mit Wasser, das ein Bub unter dem tropfenden Wasserhahn sammelt.


Eine grössere Menschenmenge in einer weiteren Tempelanlage weckt mein Interesse. Es ist eine Trauerfeier, stelle ich beim Näherkommen fest. Zwei weinende Frauen werden von Helfenden gestützt. Unter einem Blechdach sehe ich einen in rotgoldene Tücher eingewickelten Leichnam. Es handle sich um einen jung verstorbenen Newar, sagt mir einer der Zuschauer.


Holzrinde wird mit Reisstroh angezündet und in ein Tongefäss gelegt und neben eine Schale mit Opfergaben gestellt. Nach längeren Verhandlungen unter den Trauernden wird der Leichnam von vier Männern hoch gehoben und dreimal um eine Eisenbahre getragen die von Männern gehalten wird.


Nachdem der Tote auf die Bahre gelegt wurde, wird er von Trauernden dreimal umrundet. Dabei streuen sie Körner und Blumen auf den Leichnam. Es braucht viel Zureden bis sich auch die zwei Frauen zur Umrundung bewegen lassen. Gestützt machen sie drei Runden um dann laut weinend durch die Trauergemeinde zu irren.


Nun wird der Leichnam in Begleitung von zwei Musikanten zum Verbrennraum am andern Ende des Tempels getragen. Ich trete in einen Hinterhof des Tempels und stehe - mitten in der Stadt - vor einem reifen Weizenfeld.


Auf dem Weg zur Verbrennungsstelle komme ich vorbei an zwei rot gekleideten Göttern. Der Tote liegt auf lose geschichteten Holzstücken. Die Musikanten begleiten mit ihren monotonen Trommelschlägen das letzte Zeremoniell. Alle Trauernden umrunden wieder dreimal den Toten und begiessen seinen bedeckten Kopf mit Weihwasser, das ihnen ein Priester reicht. Nach einer längeren Pause tut ein junger Mann mit nacktem Oberkörper (sein Erstgeborener?) unter lautem Weinen und Schreien dasselbe. In diesem erbärmlichen Zustand wird ihm ein Bündel brennendes Resistroh in die Hände gelegt, welches er unter den Scheiterhaufen legt bevor er den Toten verlässt. Noch dauert es einige Zeit bevor die vier Leichenbrenner ihre Arbeit beginnen.


Die Verbrennungsstelle befindet sich direkt neben einer Brücke, auf der sich Dutzende Neugierige versammelt haben.




In der Türe zu einem kleinen Nebenraum des Tempels stehen Strassenkinder, die hier eine vorläufige Unterkunft gefunden haben.


fb 19.4.2010