25. Mai 2010

Nr. 2 Im Schatten des Gaurishankar

Vom 29. April bis zum 20. Mai waren der junge ICIMOD-Fotograf Nabin und ich unterwegs im ehemaligen Projektgebiet. Das Hauptziel war das Hochtal Rolwaling, welches ich im Winter 1974 zum Kauf von Kartoffelsaatgut besucht hatte. Zudem wollte ich Aufnahmen wiederholen von Fotopunkten, die ich in der trockenen Jahreszeit gemacht hatte. Das Wetter war jedoch vielfach trübe und es regnte bereits viel, so dass ich mehrere Aufnahmen nicht realisieren konnte. Aus diesem Grund mussten wir auch unser letztes Ziel, den Berg Kalinchok, auf später verschieben.
Der Trek wurde bereichert durch einen Abstecher nach Lamabagar im oberen Tambakosital, welches gegenwärtig durch eine Strasse erschlossen wird, und wo der Bau eines grossen Wasserkraftwerkes begonnen hat. Auch traf ich in Charikot auf einen alten Tuki-Freund, welcher uns den Besuch von zwei abgelegenen Tuki-Bäuerinnen ermöglichte. Doch was heisst heute schon abgelegen. Überall in den Hügeln werden neue Fahrwege erstellt und die Dörfer wenig später mit Bussen erschlossen. Und das Handy begleitet Träger, Lehrer, Bauern und Schüler - um mit Freunden in der Hauptstadt zu reden oder als neues Spielzeug.
Die Tagesetappen wurden bestimmt durch die Übernachtungsmöglichkeiten. Zudem waren wir Fotografen unterwegs stets auf gute Aufnahmen erpicht, was unserem Porter immer wieder Gelegenheit bot auf einen Baum zu steigen, um wilde erfrischende Früchte herunter zu holen. Für Nabib aber führte die Lust nach wildem Honig zu einem argen Gesundheitsrisiko. Mich traf es vier Tage später mit leichtem Erbrechen und Durchfall, so dass ich sehr gerne die Dienste eines 4x4 Lastwagens nach Bigu in Anspruch nahm und die eines Jeeps, der uns vom Tinsing La (3250m) bis nach Kathmandu (1300m) brachte.

Ester Halt Mure
Jeder Bus, der auf der Strasse von Kathmandu über Lamosangu nach Charikot fährt, hält im Bergdorf Mure auf 2500 Meter. Wir übernachten dort in einem der verschiedenen einfachen Hotels. Schon Frühmorgens beginnen die Frauen mit dem Rüsten von Gemüse und dem Kochen von Dahl Bhat. Wenn die ersten Busse nach neun eintreffen, muss alles bereit sein, denn die Konkurrenz ist gross.

Sperrholzfabrik
Bei Sanopakhar und Charikot besichtigen wir kleine, seit zwei Jahren funktionierende Sperrholzfabriken. Inder besorgen die Facharbeit, lokale Frauen und Männer arbeiten als Handlanger. Das Holz kommt von lokalen Beständen und ist vorwiegend Erle. Die geschnittenen und getrockneten Platten werden später zur Verleimung nach Kathmandu transportiert.

Im Senderaum
Aus dem Distrikthauptort Charikot senden drei lokale Radios; Radio Seilung, Radio Gaurishankar und Haumro Radio. Da ich den Besitzer des Hausen, wo das Letztgenannte untergebracht ist, kenne, werden wir ins Studio eingeladen. Während wir später nebenan einen Tee trinken, kommt ein Reporter und interviewt mich zu Thema Tourismus.

Der heilige Baum
Im Newar-Städtchen Dolakha befindet sich ein berühmter Tempel mit einem Orakel zum Schicksal des Landes. Und im antiken Teil stehen viele alte, reich mit Holzschnitzereien verzierte Häuser - viele leider leer und vom Zerfall bedroht. Und ganz unten, wo die Dienstkaste zuhause ist, steht ein uralter, gehegter und gepflegter Baum, der täglich verehrt wird.

Mais säen in Nagda
Nacht gab's ein Gewitter. Am Vormittag wandern wir weiter und fotografieren, wie ein Bauer und eine Bäuerin ihr Feld bestellen, auf dem Tage zuvor Weizen geerntet worden war. Der Holzpflug ritzt den Boden auf, und die Frau streut die Maiskörner hinein (Direktsaat, seit Generation praktiziert!). Die Frau trägt zwei Samentaschen um den Bauch, eine mit roten und eine mit gelben Körnern. Diese werden abwechselnd in eine Reihe gesät. Die eine Sorte gedeiht besser mit viel Regen, die andere ist tolerant gegen Trockenheit.

Giftiger Honig
Wir treffen verschiedentlich auf wilde Bienen, die ihre braunschwarzen Waben mit Vorliebe in der Nähe eines Wasserfalles an überhängende Felsen kleben. Die Dorfgemeinschaft vergibt die jährliche Honigernte an lokale Spezialisten. Der Wildhonig wird für gutes Geld nach Korea exportiert. In einem Teeshop isst Nabin einen Löffel des Wildhonigs, wie er das täglich mit Honig von Hausbienen tut. Kurz darauf wird ihm übel, er erbricht, wälzt sich für mehr als eine Stunde vor Schmerzen auf dem Boden. "Er wird es überleben" sagen lachend die Anwesenden. "Hätte er zwei Löffel davon gegessen würde er sterben."

Die Schnapsbrennerin
Bimala kocht uns Tee und nimmt dann ihren Rackshi-Brennofen in Betrieb. Für den Eingebdarf erlaubt, verdient sie dadurch - wie sehr verbreitet - etwas Bargeld dazu. Und es dauert nicht lange bis der erste Gast eintrifft. Seit sechs Monaten lernt Bimala, die bisher keine Schule besucht hatte, Lesen und Schreiben. Das in Rahmen das landesweiten UNO Programmes "Bildung für alle". Während des ersten Destillationsdurchganges erzählt die Frau, dass sie das Haus nur in Miete benutzen, letzthin jedoch eine Stück Land kaufen konnten. Bereits habe ihr Mann die Steine her geschleppt, um darauf ein Haus zu bauen. Das Bauholz von der Dorfgemeinschaft in Lamabagar sei auch schon beantragt und bezahlt.

Melken auf Alp Galse
Während zwei Tagen steigen wir durch einen sich stetig wandelnden Wald bis hinauf ins Hochtal Rolwaling. Am Abend beziehen wir eine Unterkunft und da reisst plötzlich der Himmel auf. In der untergehenden Sonne treiben die Hirten ihre Jauris zusammen um sie zu melken. Der eine lockt seine Tiere mit etwas Salz, der andere mit einem leeren Eimer. Jauris werden in den mittleren Hochweiden gehalten und geben relativ viel Milch. Als Kreuzungsprodukt zwischen Yak und Kuh sind sie unfruchtbar.

Frühling im Rolwaling
Im Rolwaling erleben wir drei klare, sonnige Tage. Blaue Primeln zieren die Matten, weisse Rhododendren die Talflanken. Die Bauern halten hier Yaks und produzieren auf kleinen Äckern Kartoffelsaatgut, das die Bauern aus den Tälern bei ihnen im Winter gegen Getreide eintauschen. Die Kartoffeln gedeihen zwischen 3500 und 4200 Meter. So leben die Bauern je nach Saison auf drei verschieden Höhenlagen.

Mais und Kartoffeln
Simigau, an steilem Hang auf 1800 Meter. Der Mischkultur "Kartoffeln in Mais" begegnen wir tagtäglich. Die Kartoffeln werden geerntet, bevor der Monsum richtig einsetzt, und an ihrer Stelle wird oft Hirse eingepflanzt, die dann erst im Oktober/November, lange nach dem Mais, geerntet wird. Diese Fruchtfolge schützt den Boden vor Ausschwemmung durch heftige Monsunregen.

Lernen ist cool
Beim Abstieg in Simigau fotografiere ich diese Kinder, die vor Schulbeginn ihre Aufgaben fertig machen. Der Wunsch, durch den Besuch höherer Schulen weiter zu kommen, ist bei Knaben und Mädchen vorhanden. Der Oberlehrer K. aus Chilanka äussert sich skeptisch: "Strassen, Strom und Wissen allein bringen unser Land nicht weiter."

75kg-Träger
Im oberen Tambakosi Tal sind zwei Kraftwerke, mehrere Strassen, Brücken und viele Häuser im Bau. Dazu werden Brennstoff, Armierungseisen oder Zement auf dem Rücken, wie diese beiden Träger es tun, herangeschleppt. Die Männer kommen aus dem Süden des Solo Kumbu und tragen nach alter Methode einen Ruhestock mit sich, auf den sie jederzeit ihre "Hutte" mit 75 kg Zement abstellen können. Nach einem Tagesmarsch können sie ihre Last gegen 750 Rupien (ca. 11 Franken) abliefern.

Bei der Tuki-Frau
Sofort nach dem Eintreffen zeigt uns Sita den Kompost mit den Regenwürmern für ihren Gartenboden. Sie zieht Zwiebeln, Bohnen, Pfeffer, Baumtomaten und andere Gemüse. Sogar ein Treibhaus steht im Garten. Vor sieben Jahren stellte sie ihr Verhalten auf die Tuki-Methode um, erzählt sie. Seither verkaufe sie regelmässig Gemüse und können den sechs Töchtern eine Ausbildung ermöglichen. Sogar Land konnte sie zukaufen. Nun braucht sie keinen Dünger mehr zu kaufen, da die Familie den eigenen Urin und der von Tieren sammelt und verdünnt zu den Pflanzen gibt. (Die Tuki sind ein Zusammenschluss von Bauern, die sich für ökologische Anbaumethoden einsetzen, hervorgegangen aus dem Nepal-Schweizerischen Projekt, in welchem ich von 1973 bis 1978 tätig war.)

Strom macht erfinderisch
Dieser Herd in der Eco Lodge von Bigu soll dank des eingebauten Gebläses, das durch eine Solarzelle betrieben wird, bis zur Hälfte des Brennholzes einsparen. Nachdem die Dorfgemeinschaften seit einigen Jahren über ein eigenes Budget verfügen, bauen sie damit vor allem Fahrwege, aber auch Kleinkraftwerke. Private beleuchten ihr Haus mit Strom aus Solarzellen. Damit lassen sich auch die Akkus der Handys laden.

Im Schatten des Gaurishankar
Der Gaurishankar (fein im Hintergrund) ist ein Siebentausender und bisher unbestiegen. Für mich einer der schönsten Berge des Himalaya dominiert er die Schneebergkette im Dolakha Distrikt. Das Morgenbild aus Bulung widerspiegelt die tolle Stimmung, aber auch die Erwartung auf einen bevorstehenden heissen Tag.

fb Kathmandu 25. Mai 2010