18. Oktober 2010

Nr. 5 Im Tal der wilden Pfirsiche

Nach einem Treck zurück in Kathmandu suche ich jeweils nach Worten, die das auszudrücken vermögen, was ich unterwegs erlebt habe. So vielseitig waren Begegnungen, Bilder, Eindrücke, Erfahrungen - und darum unmöglich, sie umfassend in einem kurzen Blogbeitrag weiter zu geben. Ich muss darum sortieren und aus dem riesigen Berg von Erlebnissen dasjenige herauspicken, was den Leser interessiert und was ich weitergeben möchte.

Wie ich aus Rückmeldungen erfahre, ist es auch Persönliches, was interessiert. Die gut vierzehn Tage dauernde Reise nach Humla ganz im Westen Nepals war von Begin bis zum Schluss mit vielen Schwierigkeiten verbunden. So verzögerte sich die Abreise, da wegen Regenwetters keine Flüge nach Simikot möglich waren. Vier Tage vor Abflug musste ich einen neuen Assistenten suchen, da Dinesh seine Mutter ins Spital bringen musste. In Simikot gelang es Prakash, meinem neuen Assistenten, nicht einen Führer zu finden, der mit der lokalen Kultur vertraut ist. So machten wir uns mit einem Träger und seinen zwei weissen Pferden auf den Weg. Doch Prem war vor allem gut im Trinken und nicht im Kochen wie zugesichert. Unterwegs gab es kaum akzeptable Unterkünfte, wie uns versprochen worden war, und unsere Essvorräte bewahrten uns vor Hunger.

Das landschaftlich einzigartig schöne Tal zwischen Simikot und der Grenze kannte ich von zwei früheren Reisen her. In den Dörfern und der Landwirtschaft hatte sich seit 2005 kaum etwas verändert. An der schon damals begonnen Strasse wurde weiter gebaut. Sie ist aber noch nicht befahrbar. Es fehlt die Brücke über den Karnali in Hilsa an der Grenze zu Tibet. Erstaunt war ich über die extreme Zunahme des Handels mit China. Wir begegneten Dutzenden Karawanen, die Reis, Kleider, Schuhe, Bettzeug und vor allem Bier und Schnaps in die Dörfer von Humla brachten, getragen von Männern, Yaks, Tschuris, Pferden, Eseln, Schafen, Ziegen! Händler trieben grosse Ziegenherden, gekauft in Parang, Tibet, für das Dasara Fest talwärts. Hinauf nach Tibet wurden Heilpflanzen getragen.

Es herrscht viel Verkehr zwischen Simikot und Hilsa. Doch anders als beim motorisierten bietet der Fussverkehr Offenheit und viele Begegnung an. Ist nicht offensichtlich, was die Tiere oder Menschen tragen, erkundigt man sich danach. Auch der Preis der Ware und des Transports ist kein Tabu. Wer tagelang unterwegs ist, ruht gerne für ein Gespräch und den Austausch von Informationen. Die Wetterverhältnisse, Tagesetappen und Hinweise zu Übernachtungen sind stets ein Thema. Wir machten die Strecke hinauf und hinunter und begegneten so Reisenden und Teeshop-Betreibenden nicht selten zwei Mal - und schon fühlte ich mich etwas zuhause.

An den meisten der gesuchten Fotopunkte konnten wir neue Aufnahmen machen. Männer, Frauen und Kinderaugen aus ungewaschenen Gesichtern ergaben gesuchte Aufnahmen. Ebenso das Ernten von Buchweizen, Hirse, Sorgum, Amaranthus, Kartoffeln, Senf, das Dreschen von Gerste, Schneiden und Heimtragen von Heugras und das Aufbrechen von Baumnüssen. Bereits bekannt waren mir Bäume von wilden Pfirsichen, doch dass sie so verbreitet sind und in einem grossen Teil des Tales vorkommen, hatte ich früher nicht bemerkt. Weiter oben im Tal konnten wir noch von den weissen, sauersüssen, zwetschgengrossen Früchten geniessen. Für die lokale Bevölkerung wichtiger jedoch ist der Samenkern, aus welchem sie in aufwändiger Handarbeit ein kostbares Öl gewinnen. Ich konnte in Muchu einen halben Liter davon kaufen. Es erfreut und stärkt in diesem Tagen meine müden Muskeln und die ausgetrocknete Haut.

Mein rechtes Knie schmerzte mich etwas beim Gehen, und das Fotografieren beanspruchte mehr Zeit als geplant. So einigte ich mich mit Prakash, dass er von Yari aus allein über den Nara La Pass nach Hilsa gehen würde, um die fehlenden Aufnahmen zu machen. Doch erst fünf Tage später trafen wir uns in Simikot wieder. Er hatte unterwegs zweimal Pech. Auf dem Rückweg verwundete er sich bei einem Sturz nach dem Pass am Bein. Alle Gesundheitseinrichtung waren wegen des bevorstehenden Dasara Festes bereits geschlossen. Er behandelte die Wunde mit Urin, und ein hilfsbereiter Lama mit einer lokalen Heilpflanze. Als Verbandstoff zerriss er sein getragenes Leibchen. Zum Glück fand er einen Händler, der ihm für die Rückkehr nach Simikot ein Reitpferd anbot. Dann, beim Überqueren des letzten Baches, stürzte ein in Tibet gekauftes Tragpferd, und die ganze Last, so auch Prakashs Rucksack, gingen bachab. Dabei verlor er seine beiden Mobiltelefone, die Identitätskarte, einige Kleider und alle Notizen, die er unterwegs gemacht hatte. Die Speicherkarte mit den Aufnahmen und das Flugticket hatte er in der Fototasche, die er auf sich trug.

Als ich am Nachmittag vor dem Abflug in Simikot meine Sachen packte, fehlte der Feldstecher. Geklaut sehr wahrscheinlich von Birendra, dem offenen, intelligenten Jungen aus der Region, der auf dem Treck mein Tagesgepäck getragen hatte. Vielerorts liess ich ihn mit meinen Kameras fotografieren, und eifrig benutzte er auch den Feldstecher.

Bezahlt aber ohne Ticket flogen wir am 13. Oktober in einen neuen, leeren Pilatus Transporter nach Surket. Ein Minibus brachte uns von dort in vier Stunden nach Nepalganj. Ein um zwei Stunden verspätetes Flugzeug von Buddha Air trug uns in einem sanften Nachtflug nach Kathmandu.

Fritz Berger, Kathmandu, 18. Oktober 2010

Simikot. Ein erstes Bild.


Simikot. Erntereife Äcker.


Simikot. Ein Gesicht mit Geschichte.


Simikot. Junges Gesicht.


Über dem Dorf Dandaphaya das Tal der wilden Pfirsiche.


Dandaphaya. Mädchen spielen auf dem Schulplatz.


Dandaphaya. Im unteren Tal leben Hindus.


Dandaphaya. Frau schneidet Äpfel zum Trocknen.


Kermi. Gras wird zum Trocknen auf dem Dach heim getragen - Futter für den schneereichen Winter.


Kermi. Die Vielfalt an Kräutern und Gräsern.


Amaranthus. Er reift rot, grün und gelb. Die feinen Samen werde als Brei gegessen.


Yalbang. Händler kampieren neben ihren Waren.


Yalbang. Ein Junge von der Internatschule.


Yalbang. Lehrer und Schülerin beim Korrigieren der Schreibarbeit.


Yalbang. Der Sonnenkocher vom Internat.


Yanggar. Die Nichte erläutert der blinden Grossmutter ein mitgebrachtes Foto von 1999.


Yanggar. Hier leben Tibeter, die vielfach der Bön-Religion angehören.


Bei Muchu. Händler näht Flaschen mit Lhasabier in die Satteltaschen von Schafen und Ziegen.


Muchu. Ein betagter Mann voller Lebensfreude.


Muchu. Tixi, in deren Haus ich zweimal übernachtete, bereitet Buchweizenbrot.


Tumkot. Mutter und Kind. (mein Lieblingsfoto)


Tumkot. Russischer Trecker besteigt ein Reitpferd.


Pani Palbang. Säumerkolonnen kreuzen sich.


Pani Palbang. Stämme eines wilden Pfirsichbaumes...
und seine Früchte (unten)



Pani Palbang. Hirtin trocknet Tschurp, einen traditionellen Hartkäse.


Yari. Wohnküche einer Bauernfamilie.


Yari. Der Blick zurück.

© Fritz Berger