8. Februar 2007

Nr. 14 Unterwegs in Nicaragua

Liebe Mitreisende

In der Kleinstadt Esteli
Das 120 000 Einwohner zählende Esteli liegt an der transamerikanischen Strasse im Nordwesten Nicaraguas. Als ich dort ankam, war es Sonntag Nachmittag und die meisten Geschäfte waren geschlossen. So tummelten sich die Menschen, allein oder mit ihren Kindern, auf dem Stadtplatz. Im äusseren Bereich des Platzes gibt es abgesperrte Grünflächen mit Schattenbäumen, Imbissbuden und zwei rege benutzte Spielplätze. Auf der zementierten Fläche rings um den Pavillion in der Mitte fuhren batteriebetriebene Kleinfahrzeuge, gelenkt von Kleinkindern. Schön aufgemachte Kids mussten - von Mutter, Tante oder Oma auf ein Kunstpferd gesetzt - kurz für ein Foto lächeln. Einen Franken kostet das Farbbild im Format A5, es kann gegen Vorauszahlung einen Tag später abgeholt werden.

Am Montag gegen Abend wanderte ich über das Zentrum hinaus. Bereits nach einigen Blocks ist die Strasse nicht mehr befestigt. Vor den Hausern warten haufenweise Zementsteine auf den Einbau. Zementsteine sind in Nicaragua eine weit verbreitete Strassenpflästeung. Unten am fast trockenen Bach wird eben eine neue Kanalisationsleitung verlegt. Die 1998 durch Fluten, ausgelöst vom Hurrikan Mitch, weggeschwemmte Brücke wird erst in dieser Trockenperiode neu gebaut. Ein Projekt der Europäischen Gemeinschaft.

In der Innenstadt reihen sich die Läden mit Kleidern, neuen und gebrauchten Schuhen, Haushaltgeräten, Papierartikeln und Autozubehör eng aneinander. Dann gibt es drei kleinere Supermärkte, Kopierläden, Telefonmöglichkeiten, Internetkaffees und vieles mehr. Auffällig sind auch die vielen Apotheken, die erstaunlich rege besucht werden.

An einer Strassenecke vor einem Kindergarten erinnert eine aufgebrochene Bombenhülse an den Befreiungskrieg vor dreissig Jahren. Eteli war eine der sandinistischen Hochburgen und wurde deswegen hart umkämpft und mehrmals bombardiert. Im Zentrum betreibt der Verein der Mütter gefallener Freiheitskämpfer ein Erinnerungszentrum mit Bildern vom Krieg und den umgekommenen Männern. Esteli verlor im Bürgerkrieg der Siebziger- und Achtzigerjahre 5000 Menschen, ein Zehntel der landesweit Gefallenen. Meza, die sechzigjährige Witwe, sagte mir vor dem Bild ihres gefallen Sohnes, wie sehr sie sich wünsche, dass es nie mehr Krieg gebe. Grosse Hoffnung setzt die Sandinistin in den im Herbst gewählten und kürzlich eingesetzten Präsidenten Daniel Ortega.

An vielen Hauswänden erinnern grossflächige farbige Bilder an die vergangenen schwierigen Jahre. Auch der Wunsch nach Frieden und tollerantem Zusammenleben wird bildlich dargestellt. Wer mehr über die bewegte Geschichte Nicaraguas, die vor allem von der jahrzehntelangen Einmischung der USA geprägt war, erfahren möchte, kann auf dem Blog von Andres eine Zusammenfassung lesen: blog.myspace.com/dj_share (Kapitel Geschichtsunterricht 2)

Ab Mittwoch besuchte ich in Esteli meinen zweiten Spanischkurs. Stella, eine redegewandte Fünfzigerin ist für vier Tage meine Lehrerin. Die einstige Atheistin ist seit einer Wunderheilung an einem ihrer zwei Söhne bezeugende Christin. Am Donnerstag gingen wir in die Stadt und trafen einen Türsteher vor einem städtischen Kulturhaus. Der Mann ist fünfundreissig und seit elf Jahren im Dienst. Er arbeitet acht Stunden während sechs Tagen in der Woche und hat vierzehn Tage Ferien im Jahr. Sein Basisverdienst ist ca. 70 Dolar. Nach seiner uns vorgezeigten Abrechung bezog er im Dezember inklusive Überstunden 100 Dollar. Er ist Kranken- und Pensionsversichert. Seine Uniform muss er selber berappen. Pro Semester wendet er für Schulmaterial etc. seiner beiden Söhne ca. 200 Dollar auf. Um überleben zu können, wohnt er mit Frau und Kindern bei seiner Mutter.

Am Pazifik und in den Hügeln
Nach dem ersten Spanischkurs in Granada gingen Andres und ich eigene Wege. Ich besuchte für zwei Tage die Handwerkerstadt Masaya, wo ich das Glück hatte, einen Volkstanzabend miterleben zu können. Den nahen, stets rauchenden Vulkan erklomm ich per Taxi. Den bewachsenen, ruhenden Krater in der Nähe umrundete ich bei starkem Wind zu Fuss. Über das Wochenende dann fuhr ich per Bus an den Badeort Pochimil westlich der Hauptstadt Managua. Doch es kamen recht wenig Besucher, und so blieben die vielen Hotels und Ferienhäuser am langen Pazifikstrand fast leer. Umso mehr genoss ich das auf- und abklingende Rauschen der Wellen vor der Weite des Meeres, ich fotografierte Steinformationen, am Strand spielende Menschen und die Fischausbeute im nahen Dorf.

Am Sonntag nach Abschluss meines Kurses in Esteli fuhren Andres und ich in die Hügel östlich der Stadt. Das ganze Gebiet wird unter dem Namen Miraflor als Naturpark bewirtschaftet. Innerhalb der geschützten Wälder halten Bauern auf biologische Weise Milchkühe, ziehen Kartoffeln, Kabis und Kaffee für den Verkauf. Einige beherbergen Touristen in einfachen, mit Sonnenenergie beleuchteten Unterkünften. Ausgebildete BegleiterInne führen Gäste zu Fuss oder mit Pferd zu Vögeln in den Wäldern und durch die friedliche Hügellandschaft. Diese hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem Emmental, mit dem Unterschied, dass die Wälder zwischen den Wiesen nicht aus Buchen und Tannen bestehen, sondern aus einer Vielzahl von Laubbäumen, die in tieferen, trockeren Lagen ihre Blätter verlieren. Die Hügelrücken und der Regen- und Nebelreich sind bedeckt mit immergrünen, unberrührten Urwäldern, in denen Orchideen und Begonien blühen. Die Wiesen leuchten nicht gelb vom Löwenzahn, sonderen blau von Ageratum (wie sie in der Schweiz auf Gräbern zu finden sind). Blumen aller Art zieren nicht stattliche Bauernhäuser, sondern kleine, mit Wellblech bedeckte Häuser.

Andres und ich wanderten am Montag gegen Abend in einen etwas tiefer gelegenen Eichenwald, dessen Äste über und über mit weissen Kleinbromelien behangen sind. Wie in einer Märchenwelt glitzerten sie in der Abendsonne und bewegten sich gespenstisch im Wind. Am Dienstag dann ritten wir während drei Stunden auf Pferden durch die Weite des Hochlandes. Das Nachtquartier bezogen wir bei einer freundlichen Bauernfamilie, die als biologische Pionierin gilt. Heute geht unser Aufenthalt im lieb gewonnen Nicaragua zu Ende, und wir fahren per Bus über die nahe Grenz nach Tegucigalpa, der Hauptstadt von Honduras.
Aus Ocotal grüsst euch am 8. Februar 07 herzlich euer Fritz

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