18. April 2007

Nr. 20 Abschied von Zentralamerika

Merida, Yukatan in Mexiko, am 18. April 2007

Liebe Mitreisende,

letzten Samstag kam ich von Süd-Belize nach Chetumal in Mexiko, wo Andres auf mich wartete. Einen Tag später fuhren wir per Bus über Tekax, wo wir zwei Nächte blieben, nach Merida. Mexiko gehört bereits zu Nordamerika und so ist es Zeit, mich von den Ländern Zentralamerikas zu verabschieden. Nach der Amöbenkur geht es mir gesundheitlich wieder besser. Und nachdem ich auch noch Tabletten zum Aufbau der geschwächten Darmflora genommen habe, hoffe ich wieder ganz gesund zu werden. Das letzte Mal berichtete ich aus Flores in Guatemala. Von dem was ich dort erlebt habe, schreibe ich weiter unten unter "Tage in Flores".

Am 2. April fuhr ich mit Andres von Flores nach Tikal, wo wir für die Nacht eine Hängematte mieteten. Am Morgen wollten wir die antiken Stätten bei Sonnenaufgang besuchen, rechtzeitig Einlass erhalten aber nur Gruppen mit Führer. Doch auch die hatten kein Glück. Nebelschwaden lagen bis in den Vormittag über dem Urwald. Tikal ist nur ein Ort von vielen im weiten, flachen, bewaldeten Hügelland, der vor über tausend Jahren unterging. Die meisten sind noch nicht geschützt, erforscht und renoviert. Darum suchen auch heute noch Grabräuber unermüdlich nach den reich mit Schätzen ausgestatteten Grabkammern, die unter den Pyramidentempeln verborgen liegen. Im Museum traf ich später einen deutschen Touristen, der sich von der Weisheit und Kraft der alten Mayas inspirieren lässt. Vor allem beeindruckt ihn ihre guten Kenntnisse der Bahnen der Gestirne. So wurde vorausgesagt, dass 2012 ein Jahr sein wird, in dem der Mensch die göttlichen Kräfte aussergewönlich stark erfahren kann. Eine Chance, die es nur alle 2500 Jahre gibt.

Noch am selben Nachmittag fuhren wir mit dem Bus über die nahe Grenze nach Belize. Die Sonne ging bereits unter, als wir mit anderen Reisenden den Zoll erreichten. Wir hatten zwar davon gehört, dass man für den Besuch von Belize 65 Franken bezahlen müsse, sorgten uns aber nicht vor. Und wenn wir nicht beim erstbesten Wechselmann unsere verblieben Quetzales gewechselt hätten, und Andres nicht noch in letzter Minute einen Stein gekauft hätte, hätte unser Geld sogar gereicht. Jetzt war Überlegen angesagt, ich suchte nach versteckten Dollars in meinen Gepäck, welche ich auch fand, die aber leider nicht zum Kauf beider Visa reichten. Darauf ging Andres zurück nach Guatemala zu einem Geldautomaten. Ohne Erfolg. Als nächstes versuchte ich es. Und Überraschung, ein Geldwechsler wechselte einen meiner 100-Dollar-Traveller's-Cheques! Als wir endlich den Stempel hatten, war es dunkle Nacht. Ein Taxi brachte uns nach San Ignacio, den nächsten grösseren Ort.

Wir befanden uns nun in einem vorwiegend englischsprachigen Land, das dreimal so teuer wie Guatemala ist. Am Karfreitag fuhren wir gemeinsam in die Hauptstadt an der Karibik, wo ich zwei Nächte blieb, während Andres sich mit dem Schnellboot auf die Insel Caye Caulker fahren liess. Weil ich ihn an Ostern auf der Insel nicht sogleich fand, bezog ich ein eigenes Hotel. Und bereits zwei Tage später trennten sich unsere Wege von Neuem. Ich beglückte mich nach sechs Monaten unterwegs mit einem teuren Ostergeschenk in Form einer Buchung eines dreitägigen Segeltörns. Und Andres machte sich - begreiflicherweise etwas von meinem schnellen Entschluss enttäuscht - auf den Weg nach Chetumal in Mexiko. Mehr über Belize berichte ich in den Fotogeschichten in Blog 21.

Seit Wochen plane ich, über die Länder Zentralamerikas einen allgemeinen Rückblick für Euch zu schreiben. Doch wie ich mich daran mache, finde ich keine geeigneten Worte und Sätze. So verzichte ich darauf und sende euch die Geschichte "Der Bus als Supermarkt", die vor einiger Zeit entstanden ist, in einem separaten Eintrag.

Noch ein kleiner Wunsch: Geniesst den blumenreichen Europafrühling auch ein bisschen für mich! Ich grüsse Euch alle herzlich und lieb,
Eurer Fritz


Tage in Flores
Eine kühle Brise weht mir ins Gesicht. Ich sitze an einem langen Tisch. Vor mir ein wenig gepflegter Garten. Zwei Hängematten baumeln leer zwischen jungen Kokospalmen. Grün gefiederte Blätter verdecken mir die Sicht auf den See, in dem sich die aufgehende Sonne spiegelt. Grünpflanzen in alten Plastikkübeln stehen verloren am Weg. Ein offenes Tor im niederen Bambuszaun führt auf die Naturstrasse. Vorbei fahrende Autos und TukTuks wirbeln Staub auf. Die meiste Zeit ist es still; Boote, die Menschen von Ufer zu Ufer bringen, fahren langsam und mit leisem Motor. Eine hagere Frau bringt mir das bestellte Frühstück. Zwei Toastbrote, Butter, Marmelade und schwarzen Kaffee mit Haselnussaroma. Als sie mir nachschenkt, bemerke ich die vielen Narben in ihrem jungen Gesicht und bestelle ein weiteres Toastbrot. Bei der Theke bezahle ich und lese in der Zeitung den Wetterbericht. Für Flores sind 34° am Tag und 21° in der Nacht vorhergesagt, die höchsten Temperaturen in Guatemala.

Ich gehe auf der holprigen Strasse, die rund ums Städtchen führt. Das Ufer ist nah und ohne Geländer, mehrere Restaurants haben mit Blättern bedeckte Plattformen auf Holzpfählen im See erstellt. Durch einen engen Durchgang trete ich auf eine mit rohen Kalksteinen gepflasterte Strasse, die steil zur gelb getünchten Kirche führt. Zwischen einstöckigen, mit rotem Wellblech gedeckten Häusern wurden in den vergangenen Jahren mehrstöckige Hotels aus Beton erstellt. Ich erinnere mich an ein Foto, das ich gestern gesehen habe. Darauf konnte ich nur ein einziges modernes Hotel erkennen. Auf einem anderen Foto, während der Regenzeit aufgenommen, stehen die Rundstrasse und die tiefstliegenden Häuser unter Wasser. Mit seinem Gemisch aus Alt- und Neubauten und den farbigen Schildern, die auf die Strasse hinaus ragen, wirkt Flores lebendig, und gleichzeitig verträumt. Es erscheint mir nicht so museenhaft wie die geschützten Kolonialstädte, die ich bisher besucht hatte, und in denen kein modernes Haus erstellt werden darf.

Viele Stunden verbringe ich im Internet. Zuerst redigiere und ergänze ich meinen Blogeintrag über Guatemala. Am zweiten Tag suche ich geeignete Fotos aus den am Vortag auf CD gebrannten Aufnahmen, kopiere sie in den Blog, und nachdem sie Christoph in der Schweiz platziert hat, schreibe ich die Legende dazu. Erst gestern merkte ich, dass im Lokal daneben ein Internet-Abo zu drei Dollar für sechs Stunden angeboten wird. Doch als ich es nach einer Session von zwei Stunde kaufen will, sagt mir der dicke Betreuer, ich hätte es im Voraus beziehen müssen. Ich bezahle enttäuscht den Normalpreis. Später besorge ich ein Abo und benutze es nun für neue Texte, zudem habe ich heute früh Ostergrüsse an einige Bekannte und Verwandte geschickt, in der Hoffnung, ich könne in den nächsten Tagen zwischen den vielen Spams auch etwas Persönliches lesen...

Ich lasse mich mit einem der langsamen, leisen Boote ans andere Ufer bringen. Steil geht's bergan zum Aussichtsturm, der auf der Halbinsel über Mayaruinen in einer Baumkrone erstellt wurde. Allein geniesse ich die Ruhe. Betrachte das Panorama mit dem grossen, verzweigten See von Peten, seinem Becken ohne Abfluss. Hinter dem alten Flores, wo ich wohne, erstreckt sich das aufstrebende Santa Elana bis hin zu runden Hügeln am Horizont. Am Nordufer leuchten weiss die Siedlungen von San Andres und San Jose. Hier beginnen die riesigen Urwälder, die sich weit über die Grenze nach Mexiko ausdehnen, wo viele der antiken Mayastädte liegen. Auf einem breiten, frisch gewischten Wanderweg gehe ich durch niedriges Laubgehölz. Vögel singen, Grillen zirpen. Neben einer verlassenen Siedlung grüsse ich einen alten Mann. Zusammen mit einem weissen Pferd lebt er in einer Blechhütte auf einem kleinen Hügel. In einer nahen Lichtung hält er Bienenstöcke. Der Honig, den er mir reicht, schmeckt voll und aromatisch nach den wenigen Blumen, die im Trockenwald blühen. Nach kurzer Wanderung komme ich an den See. Der Mann, der die Lichtung reinigt, bittet mich gegen Quittung um fünf Quetzales. Nackt schwimme ich im ruhigen, blauen, klaren Wasser. Ich bin allein. Allein wandere ich anschliessend durch den Wald. Der Weg ist nun schmal, das Gehölz ist lichter und niedriger und sparsam sein Schatten. Es gibt keine Wegweiser. Ich habe weder Uhr, Wasser noch Karte bei mir. Mein Orientierungssinn führt mich zu einer Abfalldeponie, die mir zeigt, eine Siedlung kann nicht weit sein...

Die Strasse vor meinem Hotel ist eines Morgens mit grünen, erdig duftenden Blättern bestreut. Männer und Frauen befestigen die letzten Palmwedel an Wänden und Masten. Es ist Palmsonntag. Ich mische mich unter die Wartenden, die freundlich grüssen. Punkt halb acht erscheint der Priester und sein Gefolge in rotweissen Überwürfen. Ein Chor singt und die Gemeinde stimmt mit ein. Durch ein Mikrofon liest der Priester einen Text zum Einzug von Jesus in Jerusalem. Ein Kadett filmt die Zeremonie. Teilnehmer fotografieren. Nachdem das Loblied mit dem Refrain "Halleluja Amen" ausgeklungen ist, kommt Leben in die Gläubigen. Frauen ergreifen auf einen Tisch gelegte Palmzweige und verteilen sie unter den Wartenden. Nun bewegen sich die gut gekleideten Frauen, Männer und Kinder über den grünen Blätterteppich. Es wird gelacht, geschwatzt, geschwiegen. Andere formen Blumen aus ihren Zweigen oder verteilen sie an diejenigen, welche erst jetzt zur Prozession stossen. Nach einem steilen Aufstieg erreicht die Menge die Kirche. Auf den Bänken warten die Älteren und Gebrechlichen. Der Gottesdienst zum Palmsonntag kann beginnen...

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