30. Januar 2008

Nr. 43 Im Silberberg von Potosi

Antofagasta, den 30. Januar 2008
Liebe Mitreisende

Die Hafenstadt Antofagasta war früher eine wichtige Hafenstadt Boliviens. Nach der Unabhängigkeit von Spanien verlor das Land in Kriegen nicht nur den Zugang zum Meer, sondern im östlichen Tiefland grosse Gebiete an Paraguay und Brasilien. Es musste zudem über zweihundert Regierungen erdulden. Darum verwundert es nicht, wenn Bolivien trotz Erdgas- und Erzvorkommen das ärmste Land Südamerikas geblieben ist. Einen Versuch zur besseren Verteilung des Reichtums unternimmt seit zwei Jahren die Regierung unter dem Indigenen Evo Morales. Doch im reichen Osten mehren sich bereits Stimmen, die eine Ablösung vom Mutterland Bolivien fordern.

In Potosi, wo ich nahezu eine Woche verbrachte, schrieb ich untenstehenden Bericht. Zur Zeit meines Aufenthalts wurden wegen Überschwemmungen in über 50 Gemeinden Boliviens der Notstand ausgerufen. Auf der Fahrt von Potosi nach Uyuni mussten wir vor eine Furt mehr als eine Stunde warten, bis das Wasser zurückgegangen war. In Uyuni buchte ich eine Dreitagestour zur Grenze von Chile. Wir waren dann sechs Touristen im Landcruiser, dazu der Fahrer, der gleichzeitig auch Führer und Koch war.

Am ersten Tag besuchten wir einen riesigen Salzsee und einen Friedhof für Lokomotiven. Mit nassem Gepäck, das auf dem Dach unter einer undichten Plane mit fuhr, erreichten wir das erste Nachtquartier. Am zweiten Tag wurde das Wetter besser. Auf schmaler, holpriger Sandpiste ging's über ein sehr interessantes Hochland auf über 4500 m. Die Vegetation wurde immer spärlicher, dafür umso farbiger die Hügel. Auf hohen Bergen lag Schnee. Bei mehreren abflusslosen Seen machten wir Halt und beobachteten Flamingos.

Am dritten Tag fuhren wir nachts und bei gefrorenen Autoscheiben los, damit wir beim Sonnenaufgang zischende und brodelnde Geysire beobachten konnten. Bereits um zehn Uhr stiegen wir in den chilenischen Bus, der uns innerhalb einer halben Stunde ins mehr als zweitausend Meter tiefer gelegene San Pedro de Atacama brachte.

Diese Oase, voller Touristen und extrem teuer, liegt in einer der trockensten Wüsten der Welt. Ich blieb einige Tage, machte Wanderungen, eine Velotour durch ein grünes Flusstal und einen organisierten Ausflug hin zu farbigen Bergen und in eine Schlucht aus Salzfelsen.

Nach drei Monaten im kühlen Andenhochland, wo es täglich regnete, erfreue ich mich nun an der Wärme, der Sonne und dem Meer!

Aus dem chilenischen Sommer grüsst euch herzlich
euer Fritz


Im Silberberg von Potosi
Noch einmal schaue ich zurück zum Eingang. Der weisse Fleck wird immer kleiner. "Pass auf deinen Kopf auf", sagt der Mann, der vor mir geht. Im Schein der Stirnlampe bücke ich mich vor einem Eisenrohr, das in einen Seitenschacht abzweigt. Zwischen den Geleisen der Stollenbahn ist es nass und schlüpfrig. Mit jedem Schritt gelangen wir tiefer in die Stille des Berges. Wir, das sind der Führer Jose, Alex aus Argentinien und ich. Vor uns bewegen sich Lichter. Mineure reinigen den Schachtboden. Ist es wegen der Fastnacht übers Wochenende? Zwei Männer laden Schlamm und Steine in einen Stollenwagen, neben dem wir uns durchzwängen. Sie tragen wie wir Helm, Stirnlampe, einen Akku, Gummistiefel und wasserfeste Überkleider. "Es ist unsicher, ob wir heute Mineure bei der Arbeit finden", sagt Jose beim Weitergehen.

Wir unterqueren Holzkanäle voller Silbererzbrocken, hinuntergeführt aus höher gelegenen Schächten. In einer trockene Ecke setzen wir uns auf Rundhölzer. "Ein guter Ort, um zum letzten Mal eine zu rauchen", sagt Jose und schiebt sich zusätzlich Cocablätter in den Mund. Wir befinden uns im Serviceschacht, 1500 Meter tief im Berg. Hier wird das Erz, das in höher und tiefer liegenden Stollen gewonnen wird, nach aussen transportiert. In lokalen Betrieben wird es mit Hilfe von Wasser und Chemie aus dem Gestein herausgelöst und als Rohware nach Asien (vor allem China) exportiert.

Diese Mine gehört einer siebenköpfigen Genossenschaft, die 70 Arbeiter beschäftigt. Der Taglohn liegt je nach Arbeit zwischen 9 und 25 Franken. "Eigentlich nicht schlecht", meint Jose, "doch die Arbeit ist hart und ungesund. Täglich sind wir während sechs bis sieben Sunden sauerstoffarmer Luft, Silikonstaub und der Nässe, die zu Arthritis führt, ausgesetzt. Ohne Versicherungen und Kündigungsschutz." 50 der 17'000 Mineure, die im Berg von Potosi arbeiten, sterben jährlich bei Unfällen. Nicht erfasst werden alle, die an Folgekrankheiten sterben.

"Könnt ihr da hochsteigen?", fragt Jose lachend, als wir vor einer steilen Holzleiter stehen. Während er vorgeht, fallen Steine aus dem dunklen Schacht. Schwierig ist der Übergang auf wackligen Balken zur zweiten Leiter, die nochmals fünf Meter höher führt. Hier im Scheitel des schmalen Stollens zeigt uns Jose mit seiner Stirnlampe die zehn bis fünfzehn cm starke Silberader. Durch ein Loch erreichen wir auf dem Bauch zwei Mineure, die einen Pressluftbohrer bedienen. Der Lärm ist trotz Ohrenpfropfen extrem. Staub und Steinchen fallen seitlich des Bohrers aus der Decke. Nun gibt es Ruhe: der Bohrer wird mit einem längeren ausgewechselt. Alex neben mir sagt, er fühle sich schlecht. Jose reicht im den Beutel mit den Cocablättern. Er schiebt einige in den Mund und gibt den Rest als Mitbringsel den Mineuren. Diese, so erkenne ich nun, tragen einen Luftfilter. Erneut stemmen die beiden den Lufthammer gegen die Decke, und wir werden eingehüllt in Lärm, Staub und Gestank.

Unterwegs zum Ausgang führt uns eine feinen Silberader zum "Onkel", dem Schutzgott der Mineure. Knallrot mit einem riesigen Penis sitzt er auf staubigem Fels. Inmitten von Cocablättern und Schnapsfläschchen. Jose demonstriert, wie die Mineure ihren Gott jeden ersten und letzten Freitag im Monat verehren. Er streut Cocablätter, legt der Figur eine brennende Cigarette in den Mund und bespritz sie mit Alkohol. Auch die "Mutter Erde" - der Stollenboden - erhält einige Tropfen davon. Während Jose trinkt, raucht und kaut, erklärt er uns:

Der "Onkel" ist das Abbild der Mineure selbst. Der erigierte Penis ist der Meissel, der Stahlbohrer, mit welchem die Mutter Erde aufgebrochen wird. Seine Arbeit - das männliche Eindringen in das Weibliche - soll möglichst fruchtbar sein und gehaltreiches Erz erschliessen. Darum ist der aus Zuckerrohr gebrannte Alkohol, den die Mineure (nicht nur an Festtagen) konsumieren, sehr rein, d.h. 98-prozentig. In mystischer Form wird hier das Machotum sichtbar. Keine lokale Frau darf die Stollen je betreten, geschweige den Onkel besuchen. Sie haben es für einmal besser. Ihre Arbeit ist es, an der frischen Luft das gewonnene Erz zu sortieren und mit dem Hammer zu verkleinern.

Die Bedeutung des Onkels ist vielfältig und hat sich in Laufe der Jahrhunderte verändert. Heute ist er Kraftspender und Beschützer zugleich. Früher, als die Spanier Sklaven zur Ausbeutung des Silbers einsetzten, machten sie ihn zu einem Tyrannen mit magischen Kräften. Mit seinen grossen Augen konnte er den Felsen durchdringen und faule Arbeiter bestrafen. Die Herkunft und der Name des Onkels haben mehrere Geschichten und Deutungen. Sicher aber ist, dass er nicht im Sinne der Christentums verehrt wird. Doch er wird geduldet, wie vieles andere auch, das die Indigenen aus ihrer alten Kultur in die Kirchen eingebracht haben.

Nach noch mehr Coca und Alkohol ist Jose richtig in Fahrt und berichtet aus der Frühgeschichte des Silberberges. Die Spanier wurden nach ihrer Ankunft Mitte des sechzehnten Jahrhunderts durch einen Verrat auf das viele Silber am Berg aufmerksam. Potosi wurde gegründet und entwickelte sich innerhalb eines Jahrhunderts mit 160'000 Bewohnern zur grössten Stadt in der "neuen Welt". Von den Sklaven, die von Ecuador bis Chile und in Afrika rekrutiert wurden, sollen acht Millionen an harter Arbeit und Krankheiten gestorben sein.

Hier im Silberberg wird mir bewusst, dass der heutige Reichtum Europas, inklusive der Schweiz, in Potosi (stellvertretend für alle Kolonialländer) begründet wurde. Gestern konnte ich im Museum Case de Moneda die aus Europa importierten Maschinen sehen, mit welchen Silbermünzen für Königreiche in der Alten Welt geprägt wurden.

Endlich sehe ich in der Ferne einen hellen Punkt. Tageslicht am Stollenausgang. Mein Blick fällt auf den Ring an meinem schmutzigen Finger. Ein Silberring! Gekauft in Laos. Stammt das Erz aus diesem Stollen?

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