26. April 2008

Nr. 48 Nordwärts

Buenos Aires, 26. April 2008
Liebe Mitreisende

seit einer Woche bin ich in Buenos Aires. Eine 16-Millionen-Stadt, interessant und einzigartig. Eine breite Spanne zwischen Moderne und Zerfall. Und dies macht den Moloch wohl so spannend, so menschlich. Viele Gehsteige liegen aufgerissen und bleiben für Jahrzehnte ungeflickt. Die Gassen sind eng, die Häuser hoch oder nieder, alt und schön. In Parks ruhen Menschen auf Rasen, der kaum über die Runden kommt. Belegt sind auch die Holzbänke, viele davon beschädigt und beschattet von Bäumen aller Art. Buenos Aires isst in den Restaurants traditionell an mit Leinen gedeckten Tischen. Die jungen Menschen tragen moderne Mode und verbringen die Nacht in Bars. Dem Tango begegne ich dort, wo die Touristen hingehen.

Breits nach einer Woche kann ich begreifen, dass Fremde sich in diese Stadt verlieben können. Bei Hans, der für eine schweizer Zeitung arbeitet, konnte ich gestern meine neue Mastercard abholen. Nachdem der Rauch der nahen Buschbrände die Innenstadt nur noch streift, werde ich noch einige Tage länger hier bleiben, denn noch einiges gibt es zu sehen und zu besuchen. Und vor allem muss ich ein bisschen ausruhen, und dann herausfinden, wie sich meine Weiterreise gestalten soll.

Aus der Stadt, worin tagsüber gelbe Blätter fallen, welche nachts von frischen Winden durch die Strassen getrieben werden, grüsst euch
fritz, der Buswanderer


Nordwärts
Ich hatte mir vorgenommen mehrere Tage in Ushuaia zu bleiben. Dann aber fand ich den Ort selbst unattraktiv und voller Shops mit fancy und teuren Artikeln. Vergebens ging ich bei Regen und Schnee auf die Suche nach einem funktionierenden Geldautomaten. Das bedeutete, ich musste an meine eisernen Reserven, die Reisecheques, gehen. Dann kam die Mail von der Kreditkartenzentrale; wegen Missbrauch sei meine Karte gesperrt, sie würden mir eine neue schicken.

Mit einer Reisekollegin machte ich einen Ausflug in den nahen Nationalpark. Bei kaltem aber trockenem Wetter wanderten wir durch herbstlichen Wald und dem Bengle Kanal entlang. Wir sichteten Delphine, Enten, Wildgänse und viele fast zahme Hasen (eingeführt aus Europa). Im Gesicht meiner Begleiterin entdeckte ich Züge meiner ersten Liebe.

Etwas trieb mich fort von Ushuaia, nordwärts der Wärme zu. Nach drei Tagen brachte mich der Abendbus durch die verschneiten, in der Abendsonne glühenden Berge in die Industriestadt Rio Grande. Unterwegs überlegte ich umzukehren, um noch einige Tage länger in Ushuaia zu bleiben. Ich tat es nicht.

Eisige Winde und auch Schnee begleiteten mich noch tausend Kilometer weiter nordwärts bis tief in die Pampa hinein. Es nützte nichts, dem kurzen Besuch auf Feuerland nachzutrauern. Mein Bus fuhr und fuhr und ich hatte auch keinen Anlass zur Trauer. Neben mir im bequemen Sitz war eine Irländerin, mit der ich mich glänzend unterhalten konnte, falls sie nicht schlief. Die Strasse vor uns schurgerade, die Ebene weit. Links und rechts ein Zaun aus Holzpfosten und sechs Drähten. Dahinter weidende Schafe. Nur selten zwar. Auch wilde Lamas und südamerikanische Strausse.

Die kleinen Marino Schafe waren in den ein-Meter-hohen, dunkel wirkenden Sträuchern kaum zu sehen. Die Büsche beherrschen die Pampa weitgehend, nur hie und da unterbrochen durch lockeres Grasland. Kein Baum, kein Bach, kein Haus. Für Stunden endlose Ebene, soweit das Auge reicht. Man spricht von Wüste, weil es hier weniger als 100 Millimeter regnet im Jahr. Später lass ich in der Zeitung, dass in mehreren Distrikten Schafe verdursteten und sich wegen Futtermangel nicht decken liessen.

Wir sassen oben und ganz vorne. Hinter uns im Halbdunkel lief der dritte Film. Wieder und wieder schreckliche Quälereien, lange Szenen von im Kugelhagel oder Feuer sterbenden Menschen. Wir fragten uns, warum bei so viel Gewalt sich keiner der Fahrgäste beschwert, hatte es doch auch Kinder im Bus. Es scheint hier eine Gewohnheit zu sein, sich den gegebenen Situationen zu fügen. Mehrmals war ich dabei als es im Bus unangenehm heiss oder kalt wurde, doch niemand rief den Schaffner - bis ich es tat. Scheinbar gelassen sah ich Menschen stundelang in Schlangen vor einem Schalter warten, während der Beamte irgend einen Telefonanruf machte. Als Folge ihrer Erfahrungen mit den schrecklichen Diktaturen haben die Menschen wohl gelernt zu schweigen, sich zu fuegen und Vorgesetztes zu ertragen. Das war die einzige Möglichkeit zu überleben. Oder man flüchtete ins Ausland.

Gegen Abend stieg ich im Dorf Fitz Roy aus und fand ein verlottertes Hotel mit freundlichen Gastgebern. Früh am folgenden Morgen fuhr mich der Hilfspolizist vom Ort in seinem Ford für 300 Pesos westwärts, wo wir nach 150 km auf farbige Hügel stiessen. Auf dem Parkplatz empfingen uns zwei halbzahme Wüstenfüchse. Allein stieg ich über nackten Boden hoch zu den gesuchten Baumstämmen. Es sind versteinerte 150 Millionen Jahre alte Aurakarientannen. Von weitem sahen sie aus wie die umgefallenen Bäume dieser Art, die ich Wochen zuvor in Chile gesehen hatte. Hier, wo heute nur Büsche und Trockenblumen gedeihen, gab es einmal Wälder! Und, wie der Besuch im kleinen Museum zeigte, vor 10 000 Jahren sogar Menschen.

Um vier Uhr nachmittags waren wir zurück. Mein Fahrer musste seine Schicht beginnen und ich erreichte per Autostop in einem Fischlastwagen zwei Stunden später das vom Erdöl reich gewordene Calleta Olivia. Auf der Suche nach einem Hotel kläfften mich dauernd hinter Gittern lauernde Hunde an. Für mein dreckiges Zimmer musste ich 90 Pesos bezahlen, dreimal so viel wie normal für ein Dormbett. Trotz der tollen Fahrt zu den Steinbäumen befiel mich an diesem Abend Unzufriedenheit. Ich war wieder allein und ein fleischloses Znacht fand ich auch nicht.

Nach einem weiteren Tag Busfahrt, verbrachte ich eine halbe Woche in Puerto Madryn. Ich genoss eine helle Herberge mit Küche und tollen Menschen. Ohne Daunenjacke schlenderte ich durch die breiten Strassen hinunter zum Sandstrand. Auf einer Tour, zusammen mit fünf weiteren Touristen besuchten wir auf der Halbinsel Valdes Kolonien von Seelöwen, Seeelefanten und Pinguinen, und in der Ferne erspähten wir sogar einige Orcas.

Da es keine Tagbusse gibt, fuhr ich am Abend los, um 18 Stunden später in Buenos Aires zu sein. Nach den üblichen Horrorfilmen und einem bezahlten Znacht konnte ich im fast leeren Bus endlich schlafen; zuerst am Boden und dann auf meinem Liegesitz. Als es hell wurde, sah ich draussen an Stelle von Pampa Ackerland: grosse Flächen reifer Sojabohnen und auf grünen Weiden grasende Mastrinder. In der mitgebrachten Zeitung las ich, dass die Bauern hier ihre Rinder zu früh schlachten, was die Mast wenig profitabel mache. Viele säen darum mehr Sojabohnen für den Export an. Diesen jedoch will der Staat mit höheren Steuern belegen, was vor Wochen zu Strassenblockaden führte.

Schon Stunden vor unserem Ziel tauchen wir in die unangenehme Rauchwolke, die bereits eine Woche lang über der Hauptstadt lag. Das Steppenfeuer im Norden der Hauptstadt sei von aufgebrachten Bauern gelegt worden sagen die einen. Andere beschuldigen Agenten der Regierung. In der Hauptstadt ist die Luft stinkig und macht das Atmen schwer. Hier werde ich nicht lange bleiben, dachte ich.

"Es wird sich einiges ändern in Südamerika, es gibt Hoffnung", meint Hans, ein Journalist, den ich in Buenos Aires treffe. Nach Brasilien, Ecuador, Chile und Bolivien hatte vergangenes Wochenende auch Paraguay eine sozialistische Regierung gewählt. Ein ehemaliger Bischof, der im ärmsten Land Südamerikas den Armen zu mehr Recht verhelfen will. Doch wie schwierig es werden kann für linke Präsidenten, zeigt die Situation in Bolivien. Dort will die reiche Tieflandprovinz Santa Cruz am 4.Mai seine Wähler zu einer möglichen Abspaltung vom Mutterland befragen. fb

Hinweis: Wer mehr über den Sojaanbau in Südamerika wissen möchte, lese den Beitrag "Paraguay - Kleinbauern hungern" von Hans Moser im TA-Dossier Hungerkrise unter www.tagesanzeiger.ch.

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