15. August 2008

Nr. 54 Kaieteur, Roraima, Balbina

Santa Elena im Süden Venezuelas
den 15. August 2008
Liebe Mitreisende,

Kaieteur, Roraima, Balbina. Wohlklingende Namen! Ein Wasserfall, ein Tafelberg, eine Frau. Unberührte Natur und eine Indianerin. Berichte dazu weiter unten.

Seit zwei Wochen bin ich nun in Venezuela. Guyana war mein letztes neues Land. In Caracas begann vor bald zwei Jahren meine Reise, und von dort aus werde ich bald meinen Heimflug antreten. Für die, welche mich am 26. August gegen Mittag in Kloten empfangen möchten, gebe ich hier meine Flugdaten bekannt: IBERIA - IB 3464 DIE 26 AUG MADRID ES ZURICH CH 0850 1105. (= 11.05 Uhr Ankunft des Fluges aus Madrid)

Ich danke Marlis und Andres für ihre Kommentare. Auch ich freue mich riesig auf ein Wiedersehen mit Euch. Du hast recht, Andres, wichtig war das falsch gewählte Wort und kann falsch verstanden werden. Unter den "wichtigsten Volksgruppen" meinte ich die schwarzen Afrikaner, die Inder und die Chinesen, d.h. die, welche zahlenmässig weltweit die grössten Völker sind.

Morgen werde ich langsam nordwärts an die Karibikküste reisen, um dort die letzten Tage meiner Reise zu verbringen. Wenn ich unterwegs auf eine schnelle Internetverbindung stosse, werde ich für euch auch noch Fotos laden.

Mit liebsten Grüssen, auf ein baldiges Wiedersehen,
euer fritz


Kaieteur
Der Kaieteur wird dem Besucher von Guyana mit einer Fallhöhe von 220 Metern als der höchste Wasserfall der Welt verkauft. Inmitten des Urwaldes gelegen, ist er nur mit Kleinflugzeug oder per Jeep, Boot und zu Fuss erreichbar. Mit einem holländischen Paar brachte mich ein Veranstalter in sechs Tagen über Land zum Kaieteur und nach Lethen an der Grenze zu Brasilien.

Der Essequibo trat über die Ufer, so dass wir mit dem 4x4 nicht bis zur Fähre gelangen konnten. Wir luden unsere Sachen in ein Boot um den Fluss zu überqueren. Ein öffentlicher Minibus und ein gemieteter Jeep brachten uns bis zum Fluss Potaro. Ein Tag verspätet ging es per Motorboot flussaufwärts. Unterwegs besuchten wir einen der vielen Goldgräber. Sie graben mit schweren Maschinen nach Diamanten und Gold, und wenn sie weiterziehen, hinterlassen sie im Urwald unheilbare Wunden.

Wir schliefen in Hängematten auf einer kleinen Insel. Am folgenden Tag mussten wir zwei Flussschnellen zu Fuss überwinden. Nach Erreichen des geschützten Urwaldes sahen wir von Weitem den Wasserfall wie ein Diamant leuchten. Doch bald war infolge weiterer Schnellen ein Weiterkommen unmöglich. Durch dichten, nassen Wald erreichten wir zu Fuss über eine kleine Anhöhe in drei Stunden unser Ziel. Es war bereits Nachmittag, und die Tagesausflügler per Flugzeug waren schon abgereist. Die Nacht verbrachten wir im Gästehaus des Parks.

Ohne schützende Zäune genossen wir von überhängenden Felsplatten aus das grosse Naturwunder. In einem flachen Tal mitten im Urwald stürzt der Potaro über eine horizontale Platte in freiem Fall in einen grünen Talkessel, der sich je nach Wind mit Gischt füllt. Überwältigend klassisch, doch wenig Abwechslung bietend. Ein besonderes Schauspiel gab es vor Sonnenuntergang, als Tausende von schwalbenähnlichen Vögeln im Sturzflug in den Talkessel einfielen, um hinter dem Wasserfall zu nächtigen. In den Riesenbromelien am Wege tummelten sich viele drei-Zentimeter-grosse, zitronengelbe Fröschchen. Sie sind nur in der Nähe des Falls, wo immer ein feuchtes Klima herrscht, anzutreffen. Sie pflegen und hegen ihre Kinder, ein bis drei Kaulquappen, erzählte uns die Biologin, die im zweiten Jahr das Verhalten der Frösche erforscht.


Roraima
Die Besteigung des Roraima — einer der mehr als 100 Tafelberge — gilt für Venezuelabesucher (und vermehrt auch für Einheimische) als DIE grosse Attraktion. Gelegen in einem Nationalpark ist der Besuch des Roraima verboten, wird jedoch zusammen mit einem Führer seit Jahren geduldet. Die Schäden, die Touristen am sensiblen Berg verursachen, sind beträchtlich. Sanitäre Einrichtungen fehlen, Tausende von Fusstritten fördern auf dem weichen Sandstein die Erosion. Unter den Felsvorsprüngen, wo die Touristen ihre Zelte aufstellen, wachsen bereits gut sichtbar eingeschleppte Pflanzen. Das in einem Umfeld, wo bisher nur lokale und endemische Gewächse gediehen.

Ich machte die Tour in einer gut harmonierenden Achtergruppe, organisiert von dem bekanntesten Unternehmen in Santa Elena. Der Prospekt der von einem Deutschen geführten Agentur versprach die besten Zelte und den besten Service. Führer Fernando, ein Indianer der Umgebung, erwies sich dann auch als interessanter Erzähler. Das Essen jedoch war anfangs ungenügend, ein Picknick fiel sogar aus. Die Zelte hatten havarierte Reisverschlüsse und die Schlafsäcke waren für die nur gerade sechs Grad Nachttemperatur auf dem Berg nicht ausreichend.

Schon während des Aufstiegs und dann am Tag unterwegs auf dem Tafelberg blieb ich immer wieder staunend vor bisher nie gesehen Gewächsen stehen. Die farbigen Blüten und harten Blätter trotzen einem extremen, wechselhaften Klima auf 2700 Meter über Meer. Ein Überleben ist nur dank der Regenfälle möglich, die auf dem Hochplateau selbst während der Trockenzeit fallen. Es gibt nur äusserst wenig Erde und kaum Humus. Trotzdem erstaunt die Vielfalt an Kleingehölzen, Orchideen, Stauden, Moosen und vor allem Gewächsen aus der Familie der Ananas. Der vielerorts nackte Untergrund aus rosafarbigem Sandstein ist oberflächlich mit schwarzen Flechten überzogen. Die dominierende, schwarze Farbe verleiht diesem Lebensraum eine erdfremde Note. Diese wird durch die vielen tier- und fabelähnlichen Felsformationen noch verstärkt.


Balbina
Balbina, 49, lernte ich am Abend der Rückkehr von Roraima kennen, und buchte spontan drei Tage in ihrem Capanomento 30 km von Santa Elena entfernt. Mit Jeep und zu Fuss erreichten wir das flache Tal, wo Balbina seit sieben Jahren zusammen mit ihrem Partner Thomas lebt. In ihrer Hütte an einem Bach in einem Wäldchen gelegen leben sie von gelegentlichen Besuchern oder Touren in die weitere Umbebung.

Lange Jahre arbeitete Balbina als Führerin, besuchte mit Hilfe von Kunden Deutschland und Schweden. Heute ist es ihr Ziel, Menschen der verschieden indigenen Stämme der Umgebung dazu zu bringen, eigene Agenturen zu gründen und Unterkünfte zu bauen. Bisher sind die Indigenen durchwegs nur Angestellte von deutschen oder nordamerikanischen Agenturen.

Balbina (in deutsch) und Thomas (in spanisch) erzählten mir Fabeln und Geschichten aus dem Leben der Indigenen. Unterwegs zeigte mir Balbina Pflanzen, aus denen Indigene Heilmittel gewinnen. Am zweiten Tag machten wir einen Ausflug ins Nachbartal, in dem der Vater von Thomas lebt und erfolgreich Maniok, Süsskartoffeln und Bananen anbaut, etwas, was der dort lebende Stamm bisher nicht macht. Mit den Kindern von Thomas' Brüdern führte mir Balbina traditionelle Tänze vor.

Auf dem Rückweg machten wir an einem Bach Halt bei Vätern der Kinder. Sie waren in einer euphorischen Stimmung und zeigten uns stolz ihre zwei Diamanten, die sie Stunden zuvor gefunden hatten. Vorher verlief monatelanges Suchen in Handarbeit erfolglos. Im Kies der meisten Bäche der Gegend wurde bis vor kurzem nach Gold und Diamanten gesucht. Unterdessen wurde das Schürfen mit Maschinen auf Druck der Regierung eingestellt. Tiefe, wassergefüllte Löcher und kahle Kieshaufen liegen neben palmengesäumten Bächen. Nun versucht Venezuela, die Wunden mit Aufforstungen zu heilen.

Jedes Jahr brennen die lokalen Indigenen die weiten, grasbewachsenen Hügel der giftigen Schlagen wegen ab. Diese seit Jahrhunderten praktizierte Methode hinterlässt eine ausgelaugte Landschaft, ohne nennenswerte Gehölze, mit einer lichten Grasnarbe, durch welche der steinige Boden zu sehen ist. Wenn Balbina unterwegs mit ihren fünf Hunden mit einem Indigenen ins Gespräch kommt, erklärt sie auch die verheerende Wirkung des Buschfeuers.

1 Kommentare:

At 30. Juni 2009 22:48, Blogger Gunther said...

Hallo Fritz,
mit großem Interesse bin ich bei der Recherche für mein Venezuela Buch auf Dein Blog gestoßen. Auch ich habe Deine Zerrissenheit gespürt, beim Betreten des Roraima Nationalparks. Eine unglaubliche, atemberaubende Landschaft und eine einmaliges Erlebnis einerseits und der Gedanke, ob diese fragile Landschaft nicht die nächsten Jahrmillionen auch noch in Frieden gelassen werden sollte, auf der anderen Seite.

Und dann natürlich eine beeindruckende Frau, die wir beide kennen: Balbina. Über ihren Namen bin ich überhaupt erst auf Deine Seite gestoßen und habe sie als RSS abonniert.

Vielleicht interessiert Dich meine Geschichte und die Erlebnisse mit Balbina, ich veröffentliche sie zurzeit wöchentlich im Netz, bevor dann irgendwann das Buch kommt. Schau doch mal auf gwegner.de vorbei!

Mit dem Rucksack durch Venezuela