24. August 2007

Nr. 31 Durch Kanada und Amerika

New York, 24. August 2007
Liebe Mitreisende

Mein Visum für die USA läuft am 5. September ab, und so musste ich meine Reise umstellen. Auf der Vancouver Insel kaufte ich mir einen für zwei Monate in Kanada und den USA gültigen Greyhound-Pass. Meine Busreise von der West- an die Ostküste des Kontinents führte in Kanada über Calgary, Regina, Winnipeg. Dann ging's südwärts in die Grossstadt Chicago in den USA, wo ich für vier Tage blieb, und dann ostwärts nach New York. Hier werde ich gut eine Woche bleiben und dann nach Kanada zurückkehren und in der Nähe von Toronto zwei ausgewanderte Schweizer besuchen.

Die 24-Stunden-Fahrt von Chicago hierher war verbunden mit einer dreistündigen Verspätung. Zweimal mussten wir mitten in der Nacht den Bus, in dem Abfallsäcke fehlten, verlassen, damit er gereinigt werden konnte. Die Verspätung wurde vom dritten Fahrer als nicht Einhalten des Fahrplanes bezeichnet. Niemand entschuldigte sich.

Nach zwei Regentagen ist es heute sonnig. Solches Wetter wünsche ich mir auch für den Nachsommer.
Mit lieben Grüssen
Fritz

***

Die Grossen Ebenen (Great Planes)
Nachdem wir bereits vor Calgary die Berge hinter uns gelassen hatten, wurde das Land zuerst leicht hügelig, dann topfeben. Für Tage durchfuhren wir nun das Anbaugebiet von Weizen, Mais und Soya, welches den Reichtum Kanadas und Amerikas begründete. Es waren diese riesigen Äcker und die hohe Zahl von Kühen, die technische Hilfsmittel und effiziente Transportmittel nötig machten. So entstanden nach 1850 die ersten Fabriken zur Herstellung von Geräten und Maschinen, gefolgt vom Bau von Eisenbahnen und Kanälen. Eine Entwicklung, welche die Einwanderung von Menschen aus Europa und Asien begünstigte.

Auch mein Vater wollte Mitten in der Krise der Dreissiger­jahre nach Amerika auswandern. Doch es kam anders, er wurde gläubiger Christ, heiratete meine Mutter und kaufte sich ein Bauernguetli in Oberbalm bei Bern. Dort sind wir acht Geschwister aufgewachsen. Beim Anblick der riesigen Felder und Farmen dachte ich mir unterwegs, dass der Hof in den Brüchen für meinen eher passiven und genügsamen Vater die bessere Lösung war als das raue Amerika.


Zwei Begegnungen
Im Bus nach Regina setze ich mich neben Lilian, Musiklehrerin und auf der Heimreise von der Hochzeit ihres Sohnes. Sie hat noch zwei Töchter und lebt geschieden in einem Haus in einem Vorort von Regina. Natürlich hat Lilian ein Auto, doch die einige hundert Kilometer lange Fahrt machte sie diesmal mit dem Bus. Das erste Mal, wie sie betont. Lilians Vorfahren kamen aus der Ukraine und führten bis in die letzte Generation eine Farm. Sie schwärmt davon, dass ihr die Mutter als Kind die Geschichte von Heidi erzählte.

Iren ist Norwegerin und geschieden. Das jüngste ihrer sechs Kinder ist neunzehn, lebt jedoch auswärts. Regina fragt mich lachend, ob sie sich zu mir setzen könne. Wir sind dann zusammen bis nach Minneapolis gefahren. Wir verstehen uns sehr gut, plaudern und lachen während der ganzen Fahrt. Iren, die sich gegenwärtig zur Sozialarbeiterin ausbilden lässt, fährt für einige Tag zu einer Freundin aufs Land, um ihr beim Vermarkten von Gemüse zu helfen. Am liebsten würde sie Amerika verlassen, reisen und sich anderswo niederlassen. Doch da gibt es die Grosskinder, die so niedlich sind. Und viel besser zu halten, als die eigenen Kinder. "Von diesen werde ich ausgelacht, weil ich trotz eigenem Auto mit dem Bus fahre", sagte Iren.


Regensonntag in Chicago
Ich hatte extra einen Tag angehängt, um durch den Vorort von Chicago zu wandern, in dem ich wohne. Dauerregen zwang mich, den Vormittag im Hostel zu bleiben. Das Café am Strand war geschlossen. In einem lokalen Restaurant bestellte ich einen Sonntagsbraten. Es begann schon wieder zu regnen. Am Kiosk beim Bahnhof kaufte ich mir für 1.75 Dollar die heutige Chicago Tribune. Sie war so dick und mehrere Kilo schwer. Die junge Verkäuferin — eine gebürtige Ladino — gab mir einen schwarzen Plastiksack. Im Dorm setzte ich mich auf den einzigen Stuhl und begann zu lesen und zu blättern. Zeitungen sind für mich ein gutes Instrument, um mich mit einem Land und seinen Problemen vertraut zu machen.

Nach zwei Stunden machte ich ein grobe Statistik über die Sonntagsausgabe der Chicago Tribune vom 19. August 07. Der Zeitungsteil hat einen Umfang von 260 Seiten mit 15 Sektionen. Der Bund Immobilien hat mit 54 Seiten den weitaus grössten Umfang. Bilder und Werbung, die gut 2/3 der Seiten füllen, sind ein oder mehrfarbig. Mitten in der Tribune liegen in einem Plastikumschlag dreissig(!) auf Hochglanzpapier gedruckte ein und mehrseitige Reklamebeilagen, sowie ein einfarbiges Heft mit dem Fernsehprogramm und ein 32seitiges farbiges Magazin.

Wie in allen Zeitungen Amerikas und Kanadas finden sich auf den ersten Seiten lokale Ereignisse. Dann folgen nationale Neuigkeiten. Ab Seite acht gibt's heute Beiträge über: einen Mann aus Chicago, der in Kuba als Held verehrt wird; das ölreiche Kirkuk; die Situation im Erdbebengebiet von Peru; schliesslich über einen palästinensischen Knaben, der in Israel betteln geht. Weiter hinten folgen acht Kurznachrichten aus der weiten Welt. (Der geringe Anteil an ausländischen Nachrichten ist auch in lokalen Fernsehkanälen und Radios festzustellen. Es darf darum nicht verwundern, dass die Bevölkerung sehr wenig über das informiert ist, was ausserhalb ihres Landes passiert.)

Interessante Artikel, die ich in der Chicago Tribune weiter hinten fand: Kontroverse um Kinderspielzeug aus China, ausgelöst durch einen tödlichen Unfall und den Rückruf von x Millionen Spielzeugen "Made in China" durch den grössten USA-Verteiler. Dabei wird darauf hingewiesen, dass die Konsumentenorganisationen den Staat in der Kontrolle der Einfuhren unterstützen sollte. Eine Familie mit zwei Kindern hat ein Buch über ihre Erfahrungen geschrieben, während sie ein Jahr lang auf Importe aus China verzichtete.

Auf drei Seiten wird über den neuen weltweiten Boom im Bau von Wolkenkratzern berichtet. Im Vordergrund steht dabei die als Kunstwerk bezeichnete "Spirale" des Stararchitekten Calatrava, die in Chicago bereits im Bau ist und eine Hohe von 2000 feet (über 600 Meter) erreichen wird.

Immer wieder gibt es in Zeitungen Beiträge über die globale Erwärmung und was dagegen getan werden kann. So auch auf einigen Seiten im Magazin unter den Titel "Kann eine Person die Welt verändern?". Eine Zeitungsseite ist dem Schauspieler Leonardo DiCaprio gewidmet, der seit Jahren für ein umweltgerechtes Verhalten wirbt. In seinem neuen Streifen The 11th Hour befasst er sich in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern mit dem Thema Klimaerwärmung. DiCaprio sagt im Bericht, dass der Film An Inconvenient Truth von Al Gore das globale Umweltproblem zum ersten Mal landesweit bewusst gemacht habe. In einem Kasten werden zehn weitere prominente Amerikaner genannt, die sich aktiv für den Schutz der Umwelt einsetzen.

Im Bund Reisen werden die Amerikaner darauf vorbereitet, dass der Dollar auf länger Zeit schwach sein wird und ihre Auslandreisen teuer bleiben werden. Als Hinweis erhalten sie eine Liste der Kosten eines BigMac von McDonald's in verschiedenen Ländern. In der Schweiz ist er mit 5 Dollar 20, am teuersten, in China mit 1.45 am billigsten. In ihrem eigenen Land ist er mit 3.41 im Mittelbereich zu haben. Nun ist klar warum die Amerikaner nicht mehr in der Schweiz Ferien machen können...

2 Kommentare:

At 9. Oktober 2007 19:38, Anonymous Anonym said...

Hey Fritz
Fantastisch und spannend, der Weg, den du zurücklegst und die Orte, die du besuchst. Einige Strassen in Zentral- und Südamerika habe ich ja auch begangen, an einigen Orten und Plätzen habe ich verweilt oder eine zeitlang gelebt. Deine stimmungsvollen Bilder wecken Erinnerungen.

Mein elektronischer Kalender meldet, dass du morgen, am 10.10. deinen Geburtstag feierst. Ich wünsche dir alles Glück dieser Welt und gute Gesundheit. Möge dein Weg frei von Hindernissen sein und dir noch viele spannende Erlebnisse und Begegnungen auf deiner Reise bescheren.
Herzulich. Heinz Binzegger.

 
At 13. Oktober 2007 03:02, Anonymous Anonym said...

lieber heinz
deine gruesse haben mich riesig gefreut!umsomehr als wenige zu meinen geburtstag geschreiben haben. ueber das was ich so mache, kannst du im meinem blog lesen. doch wie geht es dir. bist du wieder fest liirt? wie geht es mit der arbeit? hast du genuegend auftraege?
gans liebe gruesse aus quito fritz