Nr. 52 Reise durch Brasilien
Sao Luis, 30. Juni 08
Liebe Mitreisende
Schon bin ich einen Monat lang in Brasilien unterwegs, höchste Zeit also, davon zu berichten. Die Reise führte mich in die alte Goldgräberstadt Goias, in die Hauptstadt Brasilia und durch das Hügelland bei Lencois* nach Salvador*. Von dort folgte ich der Atlantikküste über Joao Pessoa, Natal und den Dünen um Tutoia* hierher nach Sao Luis.
* Berichte weiter unten
Ich fuhr während vielen Tagen und in drei Nächten. Die Busse sind komfortabel, aber teuer. Die Zwischenhalte benutzte ich, um alte Städte zu besuchen, mich zu erholen, Mails zu lesen usw. Bei Natal bewunderte ich den grössten Cashew-Baum der Welt. Er ist bloss zehn Meter hoch, bedeckt aber mit seinen auf dem Sand aufliegenden Ästen über acht Hektare! Als Attraktion geschützt wächst er mitten in einem Badeort.
Die Menschen in Brasilien sind sehr freundlich und hilfsbereit. Um mir den Weg zu weisen, liessen sie ihre Arbeit stehen und begleiteten mich bis zum Ziel. Auf der Strasse, in den Büros, überall scherzen die Leute miteinander. Brasilien gilt als Land mit den grössten sozialen Gegensätzen Südamerikas. Das Leben spielt sich vor allem in der eigenen Stadt ab. Nur die Mittel- und Obersicht hat Gelegenheit, die bereits weit entfernten Nachbarstädte oder das ganze Land kennen zu lernen. Insbesondere an der reich bevölkerten Ostküste sind die Menschen mehrheitlich braun bis schwarz. Sie sind Nachkommen afrikanischer Sklaven und Misch-Ehen.
Gestern ging das hier an der Ostküste vierzehn Tage dauernde Fest zu Ende. Es steigt jedes Jahr zu Ehren der Heiligen Sao Joao und San Pedro. In die katholischen Festlichkeiten vermischen sich alte afrikanische Mythen und Bräuche. Die Vielfalt der farbigen Kostüme der tanzenden Gruppen kennt keine Grenzen. Die Parties mit ohrenbetäubender Musik dauerten bis in die Morgenstunden.
Meine Reise geht nun weiter hinein in das Amazonas-Delta und wird schon bald(!) — anfangs September — mit dem Heimflug in die Schweiz zu Ende gehen. Am Nachmittag des 28. Septembers ist ein Fest im Länggassträff in Bern geplant. Haltet euch den Sonntag frei, um mit mir die Heimkehr und den Geburtstag zu feiern! (Genauere Informationen folgen)
Allen wünsche ich einen schönen Sommer und denen, die Glück haben, tolle Ferien. Mit herzlichen Grüssen
euer Fritz, Busreisender
Im Tal der Goldgräber
"Möchtest du frischen Salat und gebratenes Huhn?" fragt mich der junge Wirt im luftigen Lokal, das von Bäumen umgeben ist. Ich bestelle das Huhn, weil ich mit meinen paar Brocken portugiesisch verstanden habe, dass es ein Tier sei, das hier im Freien gelebt hatte. Ich bin auf einer 25km langen Naturpiste nach Corao gereist, weil hier die "Zurück-zur-Natur-Träume" der siebziger Jahre in Erfüllung gingen. Die Menschen lebten von lokal gezogenen Produkten, sozusagen in Harmonie mit der Natur, so hatte ich gehört.
Der Wirt bringt mir ein Glas mit dem Saft frisch gepresster Passionsfrüchte. Das Getränk schmeckt herb und leicht sauer, offenbar ein wenig mit Honig gesüsst. Während ich als einziger Gast den Saft trinke, denke ich über einen anderen Traum nach. Es war der Bau der neuen Hauptstadt Brasilia, die ich übers vergangene Wochenende besuchte. Bezugsbereit 1960, nach nur drei Jahren Bauzeit. Ich war damals 20. Brasilia ist nach dem Grundriss eines Flugzeugs gebaut. Und seine Planer waren besessen von der Idee einer total mobilen Gesellschaft mit Privatautos. Leider fehlt der fussgängerfeindlichen Stadt bisher das Herz. Die Anlagen im Regierungsviertel sind ungepflegt.
Der Wirt bringt mir das sorgfältig gekochte und mit frischen Gewürzen dekorierte Essen. Gestern schon genoss ich ein gesundes Znacht. Es war bei Thomas, der vor 25 Jahren aus dem Aargau hierher gekommen war. Seine Pizzas macht er eigenhändig und erfolgreich in nur zwei Sorten: Gemüse und Bananen.
Heute, als ich hinaufstieg auf das Hochplateau, sah ich im grünen Tal das kleine Dorf und die Einzelhäuser. Ich wanderte hinüber zum über tausend Meter hohen Wasserfall. Auf rotem Boden, Sand oder Felsen wachsen Gräser oder Büsche, sehr artenreich. Der einstige Urwald wurde vor zweihundert Jahren von Goldgräbern verbrannt.
Noch bin ich mit dem Essen beschäftigt, als ein Mann mit Rastas eintritt und die in der Ecke stehende Gitarre zur Hand nimmt. Auf der Bank vor dem Lokal beginnt er zusammen mit dem Wirt zu musizieren und zu singen. Für sich, für mich? Wer weiss das schon so genau. "Ich kam vor Jahren aus Argentinien", sagt der Rasta-Mann auf Englisch zu mir, als er später seine Gitarre einpackt. "Hier bin ich glücklich, ich mache und verkaufe Schmuck aus lokalen Pflanzen und Steinen. Es ist ein guter Ort für eine Familie."
In der Altstadt von Salvador
Auf der Suche nach Kaffee und Kuchen gehe ich über den Largo do Pelourinho. Orange gekleidete Männer jäten auf Abfalleimern sitzend das Gras zwischen den Pflastersteinen. Am Rande wird eine Freiluftbühne aufgebaut, und an den Masten der Strassenlampen werden Dekorationen montiert, Vorarbeiten zum morgen beginnenden Fest des Sao Joao. Der mit reich verzierten kolonialen Häusern gesäumte Platz liegt schief am Abhang. Kunden, schwarz, braun oder weiss, kaufen in den abwärts gelegenen Stoffläden ein. In der Strasse aufwärts haben sich, seit vor 20 Jahren die Altstadt zum UNESCO Kulturerbe erklärt wurde, Souvenirläden ausgebreitet.
Während dreihundert Jahren war dieser Platz Ort der Alpträume und Sklaven. Unweit vom Hafen wurden hier die in Afrika eingefangenen Schwarze an Grundbesitzer und Goldbarone verkauft. Unwillige Sklaven wurden vor den Augen der anderen ausgepeitscht. Für die Verkauften begann hier das schreckliche Schicksal ihrer lebenslangen Ausbeutung. Salvador war die Hauptstadt der damaligen portugiesischen Kolonie Brasilien.
Am Rand des Platzes besichtige ich die schlichte Kirche San Pedro. Das Geld zum Bau wurde unter ehemaligen Sklaven gesammelt. Sie hatten vergessen, dass die Römische Kirche ihnen Jahrhunderte zuvor eine Seele abgesprochen hatte und damit den Sklavenhandel legalisierte. Ihre alte Religion haben die Schwarzen bewahrt und nach der Abschaffung der Sklaverei nach 1870 zu neuem Leben erweckt. Die aktuelle, reiche Kultur Brasiliens, insbesondere die Musik, ist ohne die Schwarzen nicht denkbar!
Wie ich aus einem Laden mit alten Büchern und modernen afrikanischen Gemälden trete, kommt eine junge Schwarze auf mich zu: "Gib mir Geld, ich habe Hunger."
Ein selten schöner Ort
Im Reiseführer steht über Tutioa: Ausgangspunkt für Besuch der Düneninsel und Treck entlang der Küste. Am Morgen nach einer langen Nacht im Bus unterbreche ich die Reise hier. Ein kleines Nest wie Schwarzenburg. Es ist Markttag und viele Menschen unterwegs. Schwitzend bereits um halb neun. Alle schauen auf mich. Auf der Information finde ich nur einen Mann, der mich zu einem Hostel führt. Chocolau, der Besitzer empfängt mich herzlich. Mit Bart und aufgeblasenem Gesicht sieht er aus wie ein Bär. Ich suche das kleinste Zimmer und dusche. Später begleitet mich der Bär zum Fischerhafen. Vergebens. Heute gib es keine Fahrt auf die Insel. Sie wäre für mich alleine sowieso zu teuer gewesen. Nach einem frühen Zmittag hole ich etwas Schlaf nach. Als ich um zwei Uhr auf die Strasse gehe, glüht sie wie ein Ofen. Menschen sitzen oder liegen unter Schattenbäumen.
Ein Mototaxi bringt mich zum Strand. Der Wirt der Herberge schenkt mir den bestellten Kaffee ein. Ich trinke - er schmeckte fast wie griechischer. Ich sitze auf einem wackligen Holzstuhl an einem Tisch in Form einer gebrauchten Kabelrolle. Nebenan auf der Strasse tauschen Arbeiter die alten Pflastersteine gegen graue Zementblöcke.
Übers Meer weht ein leichter Wind. Seine Frische machte das Gehen auf dem harten Sand zu Ferien. Das Wasser ist lauwarm und in der Ebbe weit zurück gegangen. Verstreut liegen — die einfachen Segel eingerollt — hölzerne Fischerboote auf dem Sand. Weiter draussen kreuzt ein Boot von einem roten Tuch getrieben am eisernen Wrack vorbei, das in der Brandung verrostet. Kinder spielen mit ihren Velos, junge Männer mit dem Fussball. Das Feld haben sie in den Sand gekratzt. Alte Lastwagen und zwei Touristen in grossen 4x4 fahren an mir vorbei, und immer wieder junge Männer mit neuen Motorrädern.
Als ich die Dünen erreiche, steht die Sonne schon tief. Angelangt auf den Hügeln aus braunrotem Sand, fein wie Mehl, erblicke ich die blauen Seen zwischen den Dünen. Grünes Gebüsch, Gräser und Schlinger kämpfen gegen den stetig wandernden Sand. Bereits hat er die ersten Häuser des Ortes erreicht. Ein Pärchen schiebt ein Fahrrad über den Sand, ein anderes küsst sich in der verblassenden Sonne. Die Buben, welche ich vorher beim Kapriolenmachen fotografierte, verschwinden in Richtung Horizont, wo sich rot-schwarz eine Gewitterwolke türmt. Vor mir entdecke ich eine grüne Rieseneidechse! Ist sie wie ich auf die höchste Düne geklettert, um den Einbruch der Nacht zu geniessen?
1 Kommentare:
hoi, ist schade, dass du mich nicht besucht hast. konntest auch nicht wissen, dass ich hier lebe. bin vor 4 jahren von basel hierher ausgewandert.
gruesse, michael